Diese Frage treibt mich jetzt schon die ganze Zeit um. Ich fand/finde sie furchtbar spannend. Ich glaube manchmal, dass sich irgendwo bei mir ein Schalter umlegt, sobald jemand "Verb" sagt.
Ich konnte mir nämlich nicht vorstellen, dass es Grammatikmodelle etc. gibt, in denen Abhängigkeitsverhältnisse so nicht beschrieben werden. Selbst wenn man Verbvalenz ausschließen kann, bleiben ja noch genügend andere Wortarten übrig. Keine Grammatiktheorie, die mir eingefallen ist, behandelt das nicht. Das aber heißt ja erstmal nicht, dass es so etwas nicht gibt ;)
Ich habe also mal nachgefragt und ein bisschen gewühlt. Gefunden habe ich folgendes:
Schlobinski schreibt (Hervorhebungen von mir), dass "das Konzept der Valenz eine wichtige Rolle [spielt], das von Karl Bühler über das Leerstellen-Konzept etabliert wurde und in der deutschen Grammatiktradition eine eigenständige Rolle spielt, sich jedoch als Valenz- oder Rektionsprinzip
in jeder Grammatikmodellierung wiederfindet." (
Schlobinski, Peter (2003): Grammatikmodelle. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. S. 55.)
So weit, so übereinstimmend mit meiner Intuition.
Rektion wird wohl außerdem bereits seit dem 8. Jahrhundert als Begriff benutzt (
Thümmel (1992:139) nach
Schlobinski 2003:55).
Eine Darstellung der Tradition in älteren Grammatiken (zumindest für das Deutsche) findet sich u.a. auch bei
Gardt, Andreas (1999): Geschichte der Sprachwissenschaft in Deutschland. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Berlin: de Gruyter. S. 30ff., wo er u.a. über die "Grammatica speculativa" von Thomas von Erfurt (ca. 1300-1310 verfasst) spricht:
"Der Lehre von den Wortarten (
etymologica) steht in den modistischen Arbeiten die Syntax (
diasynthetica gegenüber. Besonderer Wert wird auf die Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse im Satz, d.h. auf Fragen der Rektion (
regimen) und der Kongruenz (
congruitas) gelegt." (
Gardt 1999:35-36).
Und er zitiert Thomas von Erfurt (bzw. die Übersetzung seines Werkes) direkt mit "Der unmittelbare Zweck einer syntaktischen Konstruktion ist der Ausdruck eines zusammengesetzten geistigen Konzeptes mittels eines Verbs." (ebd., 36) Dependenzen werden als Notwendigkeit beschrieben, um "ein komplexes geistiges Konzept auszudrücken und eine vollständige Bedeutung im Bewusstsein des Hörers zu erzeugen" (ebd., 37).
Einer meiner Dozenten meinte zudem, dass das Konzept der Valenz/Dependenz auch bereits bei den griechischen Grammatikern zu finden war - er wusste nur nicht mehr, wo er das gelesen hat. Nachgesehen habe ich da nicht mehr, aber einfallen würden mir jetzt z.B. Dionysios Thrax, bei dem man nachsehen könnte.
Damit kann ich zwar keine endgültige Antwort auf deine Frage liefern aber zumindestens einen Ansatz. Danke für die Anregung auf jeden Fall!