Hallo ihr lieben Syntaktiker!
Mich beschäftigt schon sein Längerem das Thema der Reflexivität, inbesondere seitdem ich einmal einen Conlang mit ergativischer Syntax entworfen habe.
In einer Akkusativ-Sprache ist mir das Prinzip klar: Das Reflexivpronomen bezieht sich auf das Subjekt des Satzes, das im transitiven Satz Agens/Experiencer/evtl. noch was anderes ist.
Was passiert aber nun im Ergativ-System, wenn das Verb sich nach dem Default-Kasus, dem Absolutiv richtet, und damit im transitiven Satz nach dem, was im Deutschen das Objekt ist? Mir erscheint es eher unwahrscheinlich, dass die Bezüge verbleiben wie im Deutschen: Das würde bedeuten, dass ein Reflexivum sich mal auf den Absolutiv (im intransitiven Satz) und mal auf den Ergativ (im transitiven) bezieht. Klar, für Sprachen gilt meistens, wenn ich mir das so ausdenken kann, existiert es irgendwo und ich kann es sowieso für meinen Conlang als Regel nehmen... Mir erscheint es dennoch unnatürlich.
Die Konsequenz daraus, dass es sich immer nach dem Absolutiv richtet, ist dann aber, dass im transitiven Satz der Bezug des Reflexivums wohl auf das geht, was im Deutschen das Objekt ist (da dieses in meinem Conlang die Verbform bestimmt, könnte man es dort ja auch als Subjekt definieren).
Hat jemand vielleicht Erfahrungen in die Richtung, sprich, kennt eine Ergativsprache, in der die Ergativität syntaktisch so Gestalt annimmt, wie beschrieben (wobei polypersonale Kongruenz des Verbs gerne auch gestattet sei) und kann mir sagen, wie das Reflexivpronomen dort funktioniert? Oder gibt es dort vielleicht überhaupt kein Reflexivpronomen? Muss ja nicht, Mittelhochdeutsch hatte auch das normale "i(h)n" statt "sich".
Ich habe nach Material für Baskisch gesucht, aber in dem, was ich gefunden habe, wird Reflexivität entweder überhaupt nicht thematisiert oder so, dass man die Sprache eigentlich sprechen muss, um die Erklärung zu verstehen; ich bin mir noch immer nicht mal sicher, ob Baskisch überhaupt Reflexiva hat.
Denn logisch scheint mir mein Gedankengang bis dahin okay zu sein und wunderbar zu funktionieren, allerdings nur, solange das Reflexivum im Deutschen einfach die Rolle des Objekts einnimmt. Für andere Fälle wird es strange.
Da das ganze mit deutschen Sätzen etwas chaotisch wird und ich die Glossenschreibweise immer etwas holprig finde, führe ich mal eben ein paar Beispielwörter ein:
keli = Katze
riba = Fisch
maka = sehen
sano = fallen
-m = Absolutiv und dritte Person Singular des Verbs
-k = Ergativ
sa = Reflexivpronomen
Das Grundsystem ist also:
Keli-
m sano-
m.
Katze-ABS fallen-3.SG.ABS
Die Katze fällt.
Keli-
k maka-
m riba-
m.
Katze-ERG sehen-3.SG.ABS Fisch-ABS
Die Katze sieht den Fisch.
Unter der These, das Reflexivpronomen beziehe sich immer auf den Absolutiv, müssen wir für den Satz "Die Katze sieht sich (selbst)" dann die Position von "Katze" und Pronomen im Vergleich zum Deutschen umkehren:
Sa-
k maka-
m keli-
m.
sich-ERG sehen-3.SG.ABS Katze-ABS
Die Katze sieht sich.
Das Ergebnis sieht ähnlich aus wie das Deutsche, aber man bedenke, dass "sak" hier den Experiencer und "kelim" den Stimulus bezeichnet.
So weit, so schön. Jetzt machen wir das Reflexivum aber zum Genitiv: "Peter(A) sieht(A) seine(A) Katze" im Gegensatz zu "Peter(A) sieht(A) seine(B) Katze", (B) eine andere Person als Peter und Peter in beiden Sätzen Subjekt. Da unser Reflexivum sich grundsätzlich auf den Absolutiv bezieht, also die Katze, kann unsere hypothetische Sprache diese Fälle nicht unterscheiden. Okay, Zweideutigkeiten kommen eben vor in Sprachen, im Deutschen ist da ja auch eine.
Aber was könnte sie denn stattdessen unterscheiden? Doch wohl etwas, was in etwa so aussieht:
"Seine(A) Katze sieht Peter(A)" vs. "Seine(A) Katze sieht Peter(B)", wobei in beiden Sätzen jetzt die Katze das Subjekt ist.
Jetzt mag es durchaus Fälle geben, wo so eine Unterscheidung sinnvoll ist (etwa ein Text über zwei Katzenbesitzer, in dem beide Katzen vorkommen und wichtig ist, welche der beiden Katzen den Peter sieht), aber viele fallen mir nicht ein. Im Endeffekt stellt sich mir an diesem Punkt ein wenig die Frage, warum unsere hypothetische Sprache überhaupt ein Reflexivpronomen im Genitiv/reflexives Possessivpronomen haben sollte, sie würde wunderbar ohne zurechtkommen.
Um es dann wirklich strange zu machen, können wir bei direktem und indirektem Objekt mit Akkusativ und Dativ das gleiche machen, was wir bei dem Schritt von Akkusativ zu Ergativ mit Nominativ und Akkusativ gemacht haben, sprich: Statt Patiens/Stimulus bei di- und trivalenten Verben in den Akkusativ und den Rezipienten trivalenter Verben in den Dativ zu setzen, verwenden wir für Rezipienten im tri- und Patiens/Stimulus im divalenten Fall den Akkusativ und für das Patiens im trivalenten Satz etwa den Instrumental: "Ich sehe dich" und "Ich beschenke dich mit einem Buch" statt "Ich sehe dich" und "Ich schenke dir ein Buch". Und das mit dem Ergativ-Absolutiv-System kombiniert.
Die Folge davon ist, dass im trivalenten Fall der Rezipient, der deutsche Dativ (!), in meinem Conlang die Form des Verbs bestimmt, da er dort ja im Absolutiv steht, und somit auch Bezugspunkt für das Reflexivum wäre.
So oder so sind das alles interessante Varianten zum Herumspielen und Ausprobieren für Conlangs, ich wüsste nur mal gerne, ob jemand mir etwas zu dem Thema bei natürlichen Sprachen sagen kann.
Vielen Danke schonmal!