Proposition und Argumentstelle

Hallo zusammen,

ich analysiere derzeit nachstehenden Satz auf seine Proposition(en) und offenen Argumentstellen:

"Vor allem hat ein Vater sich gefunden, bei dem man um sie werben muss." 

Meine bisherige Analyse zu den Propositionen lautet:

... dass sich ein Vater gefunden hat. = p(1)
... dass man bei ihm um sie werben muss. = p(2)

Ich habe mir auch überlegt, ob es sich nur um eine Proposition handelt, nämlich:

... dass sich ein Vater für die Liebeswerbung gefunden hat. = p

Hinsichtlich der Frage nach der offenen Argumentstelle frage ich mich grundsätzlich, was darunter zu verstehen ist? Eine semantische Unterbestimmtheit der Proposition oder eine Explikatur? 

Vielen Dank für Eure Antworten!

LG Bach

Argumente sind "Mitspieler", die ein Satzglied haben kann, bei Verben sind dies oft Subjekt und Objekt(e). Offene Argumentstellen sind welche, die gerade nicht besetzt sind:

1. Ich esse Suppe.
   
2. Ich esse.
   

In Satz 2 ist eine Argumentstelle (direktes Objekt) offen, die in Satz 1 besetzt ist. Solche offenen Argumentstellen finden sich ganz oft dort, wo ihr Argument bekannt (gegeben in Diskurs oder Kontext) oder implizit ist:
     3. Ich gehe gassi.
beispielsweise impliziert in der Regel ein "mit dem Hund".^[1]

Wenn man extrem spitzfindig sein möchte, muss man natürlich die Frage stellen, ob ein Vater das ist, was der unbestimmte Artikel suggerieren kann, nämlich 'irgendein Vater', oder ob hier nicht ein Argument fehlt: wessen Vater? Sinnvoll ist das Spielchen ja nur, wenn man beim Vater der Angebeteten wirbt.

Randnotiz: Für mich impliziert Liebeswerbung übrigens das Werben um die Gunst des direkten Objekts der Liebe. Beim Vater der Angebeteten wirbt man nicht um Liebe sondern um seine Erlaubnis, vulgo "um die Hand der Tochter anhalten".

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Fußnoten:

1. (Kontexte mit sprechenden Hunden oder Leuten mit außergewöhnlichen Vorlieben einmal ausgenommen!)

Hallo janwo,

vielen Dank für Deine rasche Antwort und Ausführung. Eine Frage bleibt dann aber noch offen: Was ist der Unterschied zwischen der offenen bzw. leeren Argumentstelle und einer Explikatur?

Ist denn innerhalb der Proposition "... dass ein Vater sich gefunden hat" die offene Argumentstelle der indefinite Artikel "ein"  oder "Vater von wem" oder sind beide zusammen zu denken? 

Ich überlege auch, ob nicht die unpersönliche reflexive Passivkonstruktion "sich gefunden" eine offene Argumentstelle hat, also paraphrasiert: "Es hat sich ein Vater gefunden durch mich/von mir". 

Als Explikatur ziehe ich den Ausdruck "Vater" in nähere Betrachtung, da dieser mittels Disambiguierung explizit gemacht werden muss. Denn es ist nicht eindeutig, ob es sich um einen leiblichen-verwandten oder nicht leiblichen-nicht verwandten Vater (z. B. geistlicher Vater, Stiefvater etc.) handelt.

Was meinst Du? Was meint ihr?

Vater ist ein Ausdruck mit einer inhärenten Relation. Vater kann nur sein, wer Vater von jemandem ist. "jemand" ist hier das offene Argument.

Passive sind quasi definitionsgemäß Konstruktionen, die die Zahl der (obligatorischen) ausgedrückten Argumente eines Satzes reduzieren. Das Agens-Argument (Handlungsträger) wird ja weglassbar gemacht durch ein Passiv.

Verstehe ich Dich korrekt, dass im Falle von "ein Vater" = leere Argumentstelle, der Vorgang der Identifikation und Komplettierung der Proposition den Bereich der Explikatur betrifft?

Man muss hier ganz vorsichtig sein. Ich glaube du (@janwo) verwechselst hier Komplemente und Argumente. Nur weil ein Komplement syntaktisch nicht realisiert wurde, heißt das nicht, dass die Argumentstelle offen ist bzw. das Argument nicht vorhanden wäre. Die aktuelle Valenztheorie geht davon aus, dass die Argumentstelle, die mit dem weggelassenen Komplement in Verbindung steht, durch eine freie Variable repräsentiert wird, und damit stets vorhanden ist:

Das Beispiel von @janwo stellt eine indefinite, also vom Kontext unabhängige  Komplementweglassung dar:

Für Ich esse Suppe: λxλy[ESS(x)(y)]
Für Ich esse: λx[ESS(x)(u)]

(u) ist hier eine indefinite oder definitheitsneutrale Variable, dessen Relat über Weltwissen erschlossen werden kann, bzw. dessen Referenz nicht wichtig ist.

Folgendes Beispiel illustriert eine definite, also vom Kontext abhängige Komplementweglassung:

Gisela saß vor dem Fernseher und langweilte sich. Als es Zeit war, ins Bett zu gehen, machte sie (ihn) aus und putzte sich die Zähne.

Für Sie machte ihn aus: λxλy[AUSMACH(x)(y)]
Für Sie machte aus: λx[AUSMACH(x)(y)]

(y) ist hier eine definite Variable, deren Referent über den Kontext festgelegt wird (bspw. über eine Salienzhierarchie, die mittels Epsilonoperator eingeführt wird)

Eine offene Argumentstelle findet sich aber bspw. bei Komplementfragen:

- Wer ist der tollste Hecht?
- Wem schuldest du tausend Euro?
- Wen hast du gestern gesehen?

Die Argumentstellen der w-Ausdrücke sind offen, d.h. in ihrer Referenz nicht festgelegt. Es ist ja gerade die Aufgabe von Komplementfragen, die Referenz einer Argumentstelle zu erfragen. Auch janwos Beispiele zum Vater gehören hierzu.

Vielen Dank für Deine ausführliche Antwort (@PeterSilie). Dann ist also im Satz: "Vor allem hat ein Vater sich gefunden, bei dem man um sie werben muss" die NP: "ein Vater" die offene Argumentstelle. 

Das kollidiert aber nun mit meiner Überlegung zur Explikatur (→ Disambiguierung) zu "Vater" ... Wo ist hier mein Denkfehler?