Ohje, es ist soweit gekommen. Eigentlich hatte ich gehofft, mir die Peinlichkeit dieser Frage zu ersparen. Allerdings weiß ich nicht, an wen ich mich wenden soll. Meine Dozenten gäben mir das gleiche Tantrum: Kommen Sie mit einem Thema wieder, dann können wir reden.
Das kann ich auch vollkommen nachvollziehen und ich schreibe/frage nur, weil es dann eben doch nicht anders geht und schon seit Wochen/Monaten mich vor diesem Thread winde. Lange Geschichte, kurzer Inhalt: Ich habe Depressionen und dieses Jahr eine ziemliche Lebenskrise halbwegs hinter mir gelassen und es geht mir etwas besser, außer, dass das Ding "Masterarbeit" mir so sehr im Nacken steht, dass es die Depressionen gerade wieder schlechter macht. Das alles mit Corona vernebelt mich im Moment ziemlich. (Dass meine Dozenten mich, wahrscheinlich auch wegen Corona, halbwegs ghosten, hilft da auch nicht sonderlich.)
Kurzum: Ich bin thematisch leider ziemlich raus aus Linguistik und mein Kopf ist so zu, alte Ideen kommen nicht mehr und ich kann mich nicht mehr so leicht inspirieren lassen, weil es mir schwer fällt, aktiv wissenschaftlich weiterzukommen/zu arbeiten. Ich versuche nebenbei immer mal zu lesen, was weniger als recht klappt, aber da die Zeit drückt, will ich mich nicht in einen thematischen Wälzer verlieren, von dem am Ende doch kein Thema bei rauskommt. Vor allem ohne Deadline oder thematische Gewissheit fällt mir das Lesen so schwer.
Auch wenn es sich äußerst unprofessionell schickt, ist meine Frage an euch:
Habt ihr vielleicht spontan eine Forschungslücke oder -idee im Kopf, die zu einem Master passt?
Es muss mittlerweile nicht mehr das Originellste sein, es sollte aber auch keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sein, nur damit ich dann meinen Master mache.
Ich will sie auf Niederdeutsch schreiben, und verfolge das Prinzip: Niederdeutsch kann mehr als nur über Niederdeutsch zu reden. Deswegen ist meine engere Absicht, eigentlich nicht über Niederdeutsch zu schreiben. Falls ihr aber ein gutes Thema wüsstet, kann ich die Absicht auch über Bord werfen.
Mich interessieren vor allem folgende Dinge:
- Typologie, vor allem Grammatik generell (Morphologie, Syntax). Wir hatten zum Beispiel einen Kurs über Grammatikalisierung, das fand ich sehr interessant. Phonologie und Phonetik finde ich mich oft zu unfirm drinne.
- Soziallinguistik, Textlinguistik, Stilistik, Semantik etc. interessieren mich eigentlich leider
nicht. (Soziolinguistik nur bei interessanten Fragen der Sprachbedrohung, aber nur wenig.)
- Ich mag sehr gerne: Germanische Sprachen (vor allem Westgermanisch, und insbesondere Nordseegermanisch wie Friesisch, Scots etc.), Gebärdensprachen, Nord- und Mesoamerikanische Sprachen, vor allem Grönländisch (!), Polnisch, Minderheitensprachen (fast) jeglicher Art.
- Genderlinguistik
- Sprachbedrohung, -tod
- Schriftsysteme (wenn es da überhaupt akut Bedarf gibt)
- Standard Average European (- " -)
- etc.
Mein Problem ist auch die Datenerhebung:
Ich habe zwei Jobs und kann nirgends hinreisen oder groß pendeln (darf kein Auto fahren).
- Ich habe bisher erst einmal Erfahrungen mit qualitativen Interviews gemacht. Falls die Forschungsfrage interessant ist, könnte ich so etwas auch digital machen sicherlich und mich in das Arbeiten damit einfuchsen. Innerhalb vom Dreieck Bremen-Oldenburg-Hamburg, was per Zug erreichbar ist, kann ich auch hinfahren.
- Korpusarbeit habe ich nie gemacht, kann man sicher auch lernen.
- Mit Arbeit mit existenten Grammatiken und Wörterbüchern könnte ich sicher auch um, das würde mir am ehesten zusagen.
- Oder auch Datenerhebung anhand anderer zugänglicher Dinge, wie Medien, Texte etc.
Meine bisherigen Ideen, teils noch vor der Zeit, waren meistens etwas zu ambitiös.
- Ich habe Interesse, irgendwann mal eine Saterfriesische Grammatik zu schreiben. Meine Dozentin hat vorgeschlagen, als Masterarbeit einen Teil, wie Nomenflektion, zu schreiben. Aber da kommt das Problem, dass keine Zeit habe, um Feldforschung im Saterland zu machen, und nur ein Teilbereich der Grammatik im jetzigen Themennot-Status, nicht das Verlockendste ist. Aber wer weiß, wo es mich noch hintreibt.
- Ich mag gerne Sprachverwandtschaftstheorien und wäre am Arbeiten zu einer Sprachverwandtschaft von Dene-Yenissaian mit Eskimo-Aleut und Wakashan-Sprachen sehr interessiert, aber das übersteigt den Fokus einer Masterarbeit komplett.
- Ich habe bei Grönländisch im Forum Discord gefragt, und jemand schlug vor, es gäbe das Morphem "-utə-", dessen Funktion nicht genau beschrieben werden kann. Da traue ich mir allerdings 1. nicht zu, wieso ich, unvorbereitet, auf mehr kommen sollte als Fortescue, Nielsen oder Langgård, (die Koryphäen) und 2. wie ich überhaupt Daten dafür auftreiben sollte, die ich, rejell und persönlich, aufzubereiten imstande wäre.
- Das Thema der phonemischen Vokale, die aber keine eigene Oberflächenform haben,
wie im Grönländischen aus dem anderen Thread. Allerdings ist dazu soweit erstmal alles gesagt.
- Ein Projekt habe ich zu Gebärdensprachen und Beispiele für Grammatikalisierung gemacht. Allerdings wurden in der Literatur, die ich benutzt habe, bereits quasi die bekanntesten, meisten Fälle zusammengetragen, nicht viel Neues zu machen.
- Ich bin gerne an typologischen Vergleichen zwischen Gebärdensprachen interessiert, die ich aus Grammatiken herauslesen kann. Ich weiß nur nicht genau, welche Hinsicht da interessant wäre oder wo Nachholbedarf herscht.
- Ich bin auch sehr am Missingsch interessiert. Doch weiß ich nicht recht, wie ich Daten erheben sollte als höchstens aus den paar Büchern auf Missingsch. Aber das ist auch kein wirklicher guter, ausgeglichener Korpus, bzw. welche Forschungsfrage würde sich da ergeben.
- Ich bin auch seit längerem am Nachdenken über einen Kimbrischen Sprachbund auf der kimbrischen Halbinsel (also Schleswig-Holstein und dänisches Jütland), weil alle dortigen Varietäten, die nördlichen vom Niederdeutschen, Nordfriesisch, die jütischen Varietäten und teils Dänisch viele Ähnlichkeiten haben. Aber so wie ich es immer verstehe, sind die Sprachen zu ähnlich, als dass man über einen Sprachbund reden könnte/dürfte.
- Ich wollte auch immer mal gerne die Wörter herausschreiben, die im Polnischen als deutsche Lehnwörter benannt werden, und diese differenzierter nach Niederdeutsch aufdröseln, weil die zusammengerechnet wurden in vielen Listen. Aber das ist eine Fleißarbeit, keine Masterarbeit.
Und das wäre es eigentlich. Ich weiß nur grobe Richtungen, wie in den Interessengebieten oben. Aber vielleicht ist deutlich geworden, in welche Richtung ich gerne gehen würde? Vielleicht ist auch euren Bereichen irgendwas im Kopf, wo ihr denkt, da besteht Bedarf und die Daten sind nun nicht allzu schwer zu erheben, dass ich 5 Monate auf einem Gletscher sitzen müsste.
Ich würde mich über jede Hilfe, Kritik oder Worte, dass ihr den Beitrag doof findet, freuen. Tausend Dank.
Viele Grüße, Kevin