In welche sprachwissenschaftliche Kategorie gehört folgende Partikel

Hallo

zum Hintergrund meiner Frage: ich will untersuchen, ob die Partikel wn der ugaritischen Sprache mit der Partikel wöhinne der (verwandten) hebräischen Sprache zusammenhängt, konkreter, ob sie vergleichbare Funktionen erfüllt.

Da ich das Ugaritische allerdings nicht in hebräische Kategorien pressen will, wollte ich nicht einfach die in den hebräischen Grammatiken gegebenen Kategorien hernehmen sondern die allgemein sprachwissenschaftlichen Kriterien bekommen, nach denen diese Kategorien im Falle des Hebräischen [hoffentlich;o)]bestimmt wurden, um dann nämlich diese Kriterien auf das Ugaritische anwenden zu können.

Mein Problem nun ist, dass in den hebräischen Grammatiken einfach von der Partikel ausgegangen wird und dann intuitiv (und deshalb auch durchaus nachvollziehbar) Funktionen beschrieben werden, allerdings ohne sprachtheoretische Einbettung, dh diese Partikel und die festgestellten Funktionen werden nicht in allgemein-linguistische Kategorien (auf die hin ich dann eben auch eine andere Sprache - Ugaritisch - untersuchen könnte) eingeordnet sondern entweder wird einfach nur beschrieben ohne Einordnung oder es werden Begriffe verwendet (presentative particle, presentative exclamation, emotive), die ich in der sprachwissenschaftlichen Übersichtsliteratur (Bußmann, Grammatiken, google/wikipedia) nicht finde oder bei denen nicht klar ist, in welchem Zusammenhang sie zu den in dieser Literatur verwendeten Begriffen stehen (emotive zB).

Ich habe einen gefragt, der sich in Linguistik und Hebraistik ganz gut auskennt, und er hat gemeint, er würde die fraglichen Verwendungsweise als textpragmatische Verwendung und Modalpartikel einordnen. Allerdings habe ich das für wöhinne scheinbar doch wichtige Element des "presentative" nicht unter Modalpartikel (Dudengrammatik) gefunden, Exklammation und emotive könnte auch zu Interjektion passen (wenn ich von der deutschen Sprache ausgehe), aber das passt nicht so richtig zum Hebräischen.
Ansonsten gibt es das gleiche Problem der Zirkularität wie bei den Hebräischen Grammatiken: die Modalpartikeln werden als schon bekannt vorausgesetzt und dann deren Funktionen beschrieben, ohne ein Wort darüber zu verlieren, mittels welcher Kriterien Modalpartikel als solche bestimmbar sind. Ist ja auch einfacher so, va wenn's Muttersprachler gibt, die man fragen kann... . Aber ich habe eine Habilitationsschrift von einem Herrn Waltereit gefunden, der diesen Zirkel durchbricht (Modalität als allgemeinsprachliche Notwendigkeit und Funktion, die in den Einzelsprachen unterschiedlich adressiert wird) und mir helfen könnte - zumindest falls die Einordnung als MODALpartikel eine gewisse intuitive Berechtigung hat.

Naja, ich wollte auf jeden Fall mal andere Linguisten fragen, was sie denken - was ist wöhinne für eine Partikel, dh welche Funktion (grob) erfüllt sie crosslinguistcally gesehen? Modalpartikel? Presentative partikel - aber ist das eine übliche Kategorie? wo kommt sie - außerhalb von hebraistischen Zirkeln - vor (Literatur?)?

Als Grundlage hier eine Standardbeschreibung aus der Literatur (Arnold/Choi, A Guide to Biblical Hebrew Syntax, S. 157ff :
http://books.google.de/books?id=RCUykj61...ed&f=false

Es geht mir wie gesagt vor allem um die zweite Partikel (dh 4.5.2), und dort va um die Punkte a) und b), da ich für die logischen Funktionen schon allgemeinlingustisch fundierte Analysemethoden (semantisch-kommunikative Analyse) habe. Die Bezeichnung "particle of interest" sollte glaube ich nicht mitbedacht werden, da es mir ein Missverständnis des (unsauber) zitierten Textes zu sein scheint ("Partikeln [im Original Plural, kursiv] des Interesses [nicht kursiv]" für "die Partikeln, die uns hier interessieren")

Ich hoffe, meine Frage ist einigermaßen klar formuliert. Ich wäre wirklich dankbar, wenn sich jemand, der davon Ahnung, ein paar Gedanken machen würde, und wenn dabei etwas rauskommt, was mir weiterhilft, wäre das toll :D

Vielen Dank und liebe Grüße
Jörg

PS: Der Anfang der Behandlung der Partikel in einer Hebräischen Standardgrammatik findet sich unter
http://books.google.de/books?id=jZlwYGil...q=&f=false
S. 674ff

In einem anderen Buch wird es als "attention-getter" bezeichnet

Hallo,
ich bin wahrlich kein Experte für die betreffenden Sprachen, aber so ganz generell und mit den Augen des Sprachtypologen kann ich Dir folgendes dazu schreiben:

Die Frage "ist das Phänomen P in der Sprache L ein X oder ein Y?", wo X und Y übereinzelsprachliche (oder gar universelle) Kategorien sind, lässt sich für viele P gar nicht sinnvoll beantworten. Siehe hierzu auch die Aufsätze von Haspelmath (2007, 2008). Ob eine Kategorie "üblich" ist oder nicht, sollte bei der Beschreibung keine Rolle spielen. Entweder sie passt einem, oder sie passt einem nicht. Das hat nichts mit Mehrheitsverhältnissen zu tun, so nach dem Motto "wenn P in den meisten Sprachen ein X ist, dann ist es das in L auch!".

In Anlehnung an 2.Mos. 3.14 könnte man sagen: "Es ist das es ist." Wenn die Partikel Funktionen hat (oder nicht hat), die vergleichbare Partikeln in anderen Sprachen nicht haben (oder eben gerade haben), dann muss man abwägen, ob man die Partikel als "dasselbe" klassifiziert oder nicht. Je präziser man sein will, umso weniger wird man in denselben Topf werfen. "Partikel" ist ohnehin so eine extrem heterogene Residualkategorie in die man alles einordnet, was nirgendwo sonst hinein passt. Insofern ist die Information, dass X eine Partikel sei, ohnehin nicht sehr aufschlussreich; da helfen die funktionalen (pragmatischen) Charakterisierungen zwar etwas weiter, aber über die grammatischen Funktionen sagt das nichts aus.

Ich weiß nicht, inwiefern es möglich sein wird, die exakten Bedeutungsnuancen und das Funktionsspektrum der Partikel(n) im Ugaritischen adäquat zu ergründen, da es keine Muttersprachler gibt, die man befragen könnte und da das Textkorpus m.W.n. auch nicht erschöpfend groß bzw. repräsentativ genug dafür ist.



Literatur

• Haspelmath, Martin (2007): "Pre-established categories don't exist: consequences for language description and typology." Linguistic Typology 11.1:119-132 [PDF]
  
• Haspelmath, Martin (2008): "Comparative concepts and descriptive categories in cross-linguistic studies". Draft of July 2008, 22 pp. [PDF]
  

Danke für Deine ausführliche Antwort und die Literatur!!!

ich meinte weniger "ist das Phänomen P in der Sprache L ein X oder ein Y?" sondern mehr "hat das Phänomen P (hier = wn) in der Sprache L die Funktion X oder Y", wobei X und Y Aspekte bedienen, die zum Menschsein dazugehören und deshalb in jeder Sprache (in welcher Form auch immer) bedient werden. Falls das von Deiner durch Literatur untermauerten Kritik nicht betroffen sein sollte - ich hab die Artikel noch nicht gelesen, würde ich in dieser Argumentation eine Legitimation sehen, die vorgeschlagenen Funktionen für das Hebräische in den ugaritischen Texten zu überprüfen. Ohne diese Argumentation schmeckt mir diese Überprüfung danach, eine Sprache in die Schubladen einer anderen zu pressen, und das würde ich gern, soweit möglich, vermeiden. Schreib bitte kurz, ob Deine Kritik auch diesen Gedankengang betrifft, damit ich die Artikel unter der entsprechenden Fragestellung lesen kann.

Aber unabhängig davon hab ich noch zwei Fragen.

Wenn Du die Beschreibungen der hebräischen Partikel liest (va die erste Angabe bei google-books, + die Charaktierisierung als "presentative particle"), passt für diesen Fall nach Deinem Empfinden ein Vergleich mit Modalpartikeln, dh hinsichtlich der Funktion eine Zuordnung zum Bereich der Modalität? Und der Pragmatik? Ich bin mit diesen sprachwissenschaftlichen Kategorien noch nicht ausreichend vertraut und will nicht unnötig Zeit und Energie in falsche Wege stecken.

Du schreibst: "Ob eine Kategorie "üblich" ist oder nicht, sollte bei der Beschreibung keine Rolle spielen. Entweder sie passt einem, oder sie passt einem nicht."
Ist die Subjektivität ("einem") flapsig formuliert oder wirklich so gemeint? Falls flapsig: Wie geht man methodologisch sauber vor, um so eine Kategorie zu bestimmen und zu beschreiben? Konkret: Wie bestimmt man methodologisch sauber Pragmatische Funktionen? Falls es da grundlegende bzw. (besser ;o)) anwendungsbezogene Literatur dazu gibt, die Du kennst, würde die mich interessieren.



Vielen Dank und liebe Grüße!
Jörg

(19.03.2010, 14:46:38)boanjerkes schrieb: ich meinte weniger "ist das Phänomen P in der Sprache L ein X oder ein Y?" sondern mehr "hat das Phänomen P (hier = wn) in der Sprache L die Funktion X oder Y",

Das läuft aufs selbe hinaus. Vielleicht ist es kein Fall für "oder" sondern für "und", vielleicht hat es außerdem noch die Funktion Z ... Mit solchen Fragestellungen, die ein (ausschließendes) "oder" enthalten, fängt man an, die Sprache in vorgefertigte Schubladen zu pressen.

(19.03.2010, 14:46:38)boanjerkes schrieb: wobei X und Y Aspekte bedienen, die zum Menschsein dazugehören und deshalb in jeder Sprache (in welcher Form auch immer) bedient werden.

Oha. Da kommen wir dann aber sehr weit von grammatischen Kategorien weg. Ich glaube schon einmal gar nicht an so etwas wie "Universal Grammar", und dass sich universell in allen Sprachen auch alle diese Aspekte in irgend einer Form in Lexikon und/oder Grammatik niederschlagen, glaube ich auch nicht.

(19.03.2010, 14:46:38)boanjerkes schrieb: Wenn Du die Beschreibungen der hebräischen Partikel liest (va die erste Angabe bei google-books, + die Charaktierisierung als "presentative particle"), passt für diesen Fall nach Deinem Empfinden ein Vergleich mit Modalpartikeln, dh hinsichtlich der Funktion eine Zuordnung zum Bereich der Modalität? Und der Pragmatik?

Die Frage läuft wieder darauf hinaus, ob diese Partikel in eine vorgefertigte, übereinzelsprachliche Kategorie "Modalität" oder "Modalpartikel" passt.
WENN man an dieser (sehr diffusen und eigentlich undefinierten) Klasse festhalten will, dann kann man eine "presentative particle" durchaus dort hinein fügen. Oder man macht eben eine neue Klasse auf, die man "Präsentativpartikel" oder "Hugo" oder "Klasse 3598" nennen kann.

(19.03.2010, 14:46:38)boanjerkes schrieb: Ist die Subjektivität ("einem") flapsig formuliert oder wirklich so gemeint?

Flapsig formuliert aber sehr ernst gemeint. Sorry.
Entweder willst Du keine vorgefertigten Schubladen und Schemen verwenden, dann musst Du auch nicht danach fragen, in welche vorgefertigten Schemen etwas passt, weil Du alle Kategorien selbst für Deine Zwecke definieren kannst bzw. musst.
Oder du verwendest die vorgefertigten Schemen, dann musst Du aber damit leben können, dass Du unter Umständen an manchen Stellen etwas quetschen und zerren musst, damit das alles auch auf den Untersuchungsgegenstand passt.

Wenn Du die Kategorien selbst definieren und dabei nicht auf komplette Neubenennungen (s.o.) zurückgreifen willst, wirst Du immer das Problem haben, dass anderer Leute Verwendungsweisen der Begriffe als Konnotationen mitschwingen. Um dies weitgehend zu vermeiden musst Du die genaue Funktion z.B. der Partikel darlegen und sagen, anhand welcher Kriterien Du etwas als X oder nicht X klassifizierst.

Insbesondere bei der Wortarteneinteilung ist es oftmals schwierig, sich strikt an eine Beschreibungsebene als Einteilungskriterium zu halten, so dass manche Wortarten eher syntaktisch, andere eher morphologisch und andere eben vorrangig pragmatisch definiert werden. Damit lebt unsere Disziplin aber jetzt schon seit einigen Jahrzehnten, ohne darüber zu verzweifeln. ;)