Ich engagiere mich zurzeit in einer Diskussion, die im Grunde so etwas wie eine Sisyphusarbeit ist. Aber da es einer der wenigen Fälle ist, wo man als Sprachwissenschaftler mal wirklich etwas beizusteuern hat, mische ich eben auch mit. Es geht um
die vom "Verein deutsche Sprache" und der Bild-Zeitung initiierte Kampagne, die deutsche Sprache und ihren Schutz im Grundgesetz zu verankern. Seit kurzem ist
die von einem Kollegen initiierte Gegenpetition jetzt auf der Homepage des Bundestages in der Mitzeichnungsphase, d.h.
man kann sie (virtuell) unterschreiben.
Von den juristischen und politischen Aspekten habe ich – ehrlich gesagt – nicht genug Ahnung. ich weiß nur, dass Deutsch als standardmäßige (aber nicht zwingend allein zulässige) Amts-, Gerichts- und Urkundssprache eh schon durch vier Gesetzesnormen festgelegt ist:
§23 Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes (BVwVfG),
§19 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X),
§5 Beurkundungsgesetz (BeurkG),
§184 (bis 191a) Gerichtsverfassungsgesetz (GVG).
Die Verankerung im Gundgesetz muss also, wenn sie nicht rein symbolisch bleiben soll, darüber hinaus gehen. Und wenn sie symbolisch gemeint ist, würde eine solche Festschreibung dennoch dazu führen, dass man sie missbraucht. Wohlgemerkt, es geht hier um die Festschreibung in der Verfassung! Das heißt doch, dass jemand, der gegen diese Festsetzung verstößt, nicht bloß eine Ordnungswidrigkeit oder einfache Straftat begeht, sondern
verfassungsfeindlich wird. Und was genau soll die Festschreibung im GG bewirken? Dass man in Zukunft öffentlich (oder gar überhaupt) nur noch Deutsch sprechen darf? Dass die Verwendung von Anglizismen oder Fremdwörtern oder mangelhafte Deutschkenntnisse als Verstoß gegen den Schutz der deutschen Sprache ein staatsfeindlicher Akt werden? Ich weiß es nicht. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass so etwas ziemlich schnell dazu führen würde, dass das ziemlich schnell mit dem bereits von Anfang an im GG festgeschriebenen Gleichbehandlungsgrundsatz (
Art.3 Abs.3) in Konflikt käme, in dem Sprache ausdrücklich als ein Benachteiligungsgrund erwähnt ist. Und diesen Artikel anzutasten wagt man sich hoffentlich nicht!
Fast immer wird in diesem Zusammenhang erwähnt, dass Deutsch in unseren beiden deutschspracigen Nachbarstaaten ja auch in der Verfassung festgeschrieben ist. In der österreichischen Verfassung aber ausdrücklich "unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte" (
Art. 8), und in der Schweiz nur als eine von vieren (
Art. 4). Was unsere sprachlichen Minderheiten (Sorbisch, Friesisch, Dänisch, Niederdeutsch und all die Migrantensprachen) angeht, ist in dem Vorschlag von VDS und Bild keine Rede von Toleranz oder Schutzwürdigkeit. Und auch das schmeckt mir nicht.
Rein sprachwissenschaftlich betrachtet ist die Aufnahme des Schutzes der deutschen Sprache in die Verfassung völlig sinn- und aussichtslos. Kein Gesetz kann verhindern, dass Sprache sich wandelt und vorschreiben wie der Einzelne spricht. (Ok, ok, zumindest so lange wir rechtsstaatlich, freiheitlich, demokratisch bleiben wollen). Außerdem ist ja nirgends definiert, was genau die deutsche Sprache ist, die da geschützt und festgeschrieben werden soll. Wie auch? Welche Varietät soll's denn sein? Dass es nur eine wahre und vielleicht sogar homogene Standardhochsprache gibt, ist eine stark vereinfachende (und oftmals aus praktischen Gründen notwendige) Vorstellung und im Grunde eine Illusion.
Die Vitalität einer Sprache zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sie sich ständig erneuert und den Bedürfnissen ihrer Sprecher anpasst. Solchen Wandel zu verbieten würde letzten Endes dem eigentlichen Ziel, die Sprache vor dem Untergang zu bewahren, massiv zuwider laufen.
Wie seht Ihr das? Über Eure Beiträge und Meinungen hierzu würde ich mich sehr freuen.