vorgezogener, gleichzeitiger und verzögerter VOT

Hallo!

In dem Buch "Wörter, Streifzüge durch die Psycholinguistik" von George A. Miller habe ich vom phonetischen "Voice-Onset" gelesen.
Da wird neben dem gleichzeitigen VOT (sth.) und dem verzögerten VOT (stl.) der "vorgezogene" VOT bei Plosiven beschrieben. Dieser solle im Holländischen, Spanischen und Thai vorkommen und zwar als eigenes Phonem neben dem stimmhaften Plosiv.
Im Internet konnte ich nichts dazu finden (vielleicht wird eine veraltete Terminologie im Buch verwendet).
Verschiedenen Quellen entnehme ich, dass es im Thai die drei Plosivgruppen sth., stl. und asp. gibt.

Wie transkribiert man einen vorgezogenen VOT?
Gibt es einen gängigeren Namen dafür?
Gibt es eine Quelle, wo ich mehr dazu herausfinden kann?

Vielen Dank!
Yaouoay

Ich habe es ganz grob so in Erinnerung:
Die Voice Onset Time gibt den Zeitraum zwischen Verschlusslösung eines Plosivs und Stimmeinsatz an. Negative Werte entsprechen verschiedenen Abstufungen von Stimmhaftigkeit, positive Werte verschiedenen Abstufungen von Aspiration und Werte um Null Stimmlosigkeit; auch die Unterschiedung zwischen Fortis und Lenis ist hier zu verorten. Die VOT unterliegt der kategorialen Wahrnehmung, d.h. welche Wert(bereich)e in einer konkreten Sprache als stimmlos, aspiriert etc. gelten, kann jeweils unterschiedlich sein.

Für die Transkription stellt das extIPA einige Zeichen bereit (https://www.internationalphoneticassocia...rt2008.pdf), ich wüsste jetzt aber nicht, dass mir die bisher groß untergekommen wären.

Was empfehlenswerte Literatur angeht, muss ich noch mal schauen.

Vielen Dank für deine rasche Antwort, thf!
Das extIPA-pdf ist super.

Also ist Aspiration eigentlich eine Abstufung von Stimmlosigkeit bzw. verzögertem VOT? Das ergibt Sinn.
Ich stelle mir einen vorgezogenen VOT wie einen angedeuteten Nasal vor dem sth. Plosiv vor, dass quasi schon eine Schwingung vor der Explosion existiert.
Könnte das sein oder muss ich mir das anders vorstellen?

LG~Y

Ich kenne mich mit dem Phänomen nicht so genau aus, aber es gibt zumindest eine aktuellere Studie, in der die neunte Staffel von Big-Brother untersucht wurde. "Longitudinal phonetic variation in a closed system" von Bane, Graff und Sonderegger. Also ganz veraltet scheint es zumindest nicht zu sein und das Phänomen wird dort auch nochmal erklärt. Falls es hilft: https://muse.jhu.edu/article/669548/summary

Danke für den Link, reger, aber ich muss mich auf der Seite registrieren, um etwas downloaden zu können, und ich finde nur einen "log in"-Knopf.
Kannst du mir das pdf schicken?

(05.06.2018, 22:57:07)Yaouoay schrieb: Vielen Dank für deine rasche Antwort, thf!
Das extIPA-pdf ist super.

Also ist Aspiration eigentlich eine Abstufung von Stimmlosigkeit bzw. verzögertem VOT? Das ergibt Sinn.
Ich stelle mir einen vorgezogenen VOT wie einen angedeuteten Nasal vor dem sth. Plosiv vor, dass quasi schon eine Schwingung vor der Explosion existiert.
Könnte das sein oder muss ich mir das anders vorstellen?

LG~Y

Entschuldige bitte die späte Antwort.

Ja, was du zur Aspiration schreibst, würde ich auch so sehe. In dem Zusammenhang wird z.B. gerne das Navajo zitiert, da dort manche aspirierte Konsonanten eine sehr hohe VOT aufweisen müssen^[1], um eben als aspiriert wahrgenommen zu werden.

Eine mögliche Visualisierung der VOT ist die Darstellung in einer Art Partitur, die die Koordination des Artikulators (z.B. Lippen beim bilabialen Plosiv) einerseits und der Glottis andererseits veranschaulicht.
Siehe z.B. die Grafik hier: http://www.indiana.edu/~hlw/PhonUnits/consonants2.html

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Fußnoten:

1. Ich habe das aus Seminarnotizen, die sich auf Ladefoged (2001) beziehen und eine VOT von 160 ms für [ t ] im Navajo angeben vs. 60 ms für engl. [ p ] (wortinitial)

Tolle Grafik!

Zitat:Ich stelle mir einen vorgezogenen VOT wie einen angedeuteten Nasal vor dem sth. Plosiv vor, dass quasi schon eine Schwingung vor der Explosion existiert.

Und was meinst du zum vorgezogenen VOT? Wenn also die Glottis entspannt ist und einen Ton durchlässt, bevor der Artikulator den Plosiv erzeugt?
Dürfte das dann wie beschrieben klingen?

Edit (ich hatte es erst falsch verstanden):
Wenn Luft durch die entspannten Stimmlippen strömt, ist der folgende Laut stimmlos. Zwar gibt es beschriebene Fälle von stimmlosen Nasalen (z.B. im Isländischen), an sich sind Nasale aber erst einmal stimmhaft. Daher (und aus artikulatorischen Gründen, s.u.) ist das Bild vielleicht nicht ganz passend.

Für den stimmhaften Fall bin ich noch zu keinem Schluss gekommen. :) Aus artikulatorischer Sicht und isoliert würde ich es mir eher als minimalen (Neutral)vokal (also [ə]) vorstellen, da ein Nasal mehr artikulatorischen Aufwand erfordert; für Nasale ist eine Verschlussbildung notwendig. In der gesprochenen Sprache wäre es denkbar -- abhängig vom nachfolgenden Konsonanten -- dass es durch koartikulatorische Effekte eher in Richtung Nasal geht. In einigen Sprachen kommt der Effekt des "Pre-voicings" wohl regulär vor; ansonsten ist er wohl auch im Zusammenhang mit ingressiven Luftstrommechanismen (also insb. bei Implosiven) zu beobachten. Ich versuche mal, mehr dazu zu finden.