-kunft von Kommen - ein Suffix?

Moin!

Ich frage mich gerade, ab man das Anhängsel "-kunft" ein Suffix nennen kann.

Scheinbar ist es eine Substantivierung von "kommen", kommt aber nicht isoliert vor, oder ist nicht gebräuchlich.

Auf

https://www.dwds.de/wb/Kunft 

sind die Beispiele "Abkunft · Ankunft · Auskunft · Auskunftei · Einkünfte · Herkunft · Niederkunft · Übereinkunft · Unterkunft · Zukunft · zukünftig · Zusammenkunft" genannt, "-kunft" wird aber dort nicht als Suffix bezeichnet, auch nicht im Duden oder sonstwo im Netz. 

Wie soll man nun "-kunft" grammatisch oder linguistisch korrekt bezeichnen? 

Danke im Voraus für Hinweise! 

Es ist eigentlich ein Substantiv, kann aber allein stehend wohl nict mehr verwendet werden. Für ein Suffix hat es aber noch zu viel semantischen Inhalt und nicht genug grammatische Funktion. Daher bietet es sich an, es Konfix zu nennen: http://www.glottopedia.org/index.php/Konfix

Hallo, Matthias!

Wie Janwo würde ich auch "Konfix" sagen. Mir stellt sich jedoch die Frage, ob es wirklich falsch wäre, es "Suffix" zu nennen.
Sprache ist so komplex und facettenreich, und Linguistik grenzt zwar viele Aspekte in kleinere Kategorien ein, was aber nicht wie bei Mathematik eindeutig ist, sondern vielmehr eine Norm für die universelle Kommunikation. (Sowie Sprache selbst auch nur eine Norm ist, die Regeln folgt, die aber keinen Naturgesetzen unterliegen.)

Nun, innerhalb dieser Normen wäre "Konfix" wohl korrekter als "Suffix".
Ein Konfix ist gewissermaßen ein lexikalisches Morphem, das wie andere Affixe nicht allein stehen kann. Der Unterschied ist nur sein eher semantischer als grammatischer Inhalt. 
Das Suffix /ung/ kann Verben nominalisieren ("Tötung"), das Präfix /un/ negiert Wörter ("unschön") etc.
So sehe ich im Morphem /schaft/ ("Freundschaft") eher ein Konfix als ein Suffix (wie der Duden), weil es mehr semantischen Inhalt hat als etwa /heit/. Darüber zu disputieren wäre wohl Haarspalterei.


Liebe Grüße
Yaouoay

Manche Konfixe können sehr wohl allein stehen: Alles bio oder was? | Kurzwortbildungen Chemo, Thermo usw.; außerdem gibt es auch unikale lexikalische Morpheme, die auch nur noch gebunden auftreten und die dennoch kein Konfix oder Affix sind: {Schorn-}, {Brom-}

Die Abgrenzung Konfix : Affix ist nicht komplett undurchlässig. Einige Kriterien sind jedoch durchaus da:

• die semantische Undurchsichtigket von Affixen vs. die zumeist noch erkennbare lexikalische Bedeutung eines zum Konfix grammatikalisierten Morphems: {-ung} ist nicht etymologisierbar, {-kunft} hingegen schon; in jungen (Grenz-)Fällen koexistieren Ursprungswort und grammatikalisiertes Konfix parallel; man denke z.B. an künftig {Kunft} + {¨-ig}
  
• Konfixe sind deutlich öfter als Affixe fremdsprachigen Ursprungs, d.h. ihre Entlehnungsrate ist höher
  
• Konfixe können positionsambivalent sein: anthropomorph : morphologisch (das /o/ ist ein Fugenelement)
  Ein Affix ist ein Suffix, wenn es hinten angehängt wird, andernfalls ist es ein Präfix oder ein anderes -fix.
  
• Konfixe haben weniger bis keine Beschränkungen was ihre Anwendbarkeit auf bestimmte Wortarten angeht; Affixe sind dagegen oft auf eine bis einige Wortart(en) beschränkt, daher *unkaputtbar
  

Zitat:Manche Konfixe können sehr wohl allein stehen: Alles bio oder was? | Kurzwortbildungen Chemo, Thermo usw.

Ja, wenn man die Umgangssprache mit einbezieht, gibt es so gesehen auch freistehende Konfixe.

Zitat:{-ung} ist nicht etymologisierbar

/heit/ hingegen komme von heiter, sagt der Duden (habe mit der Stimmung zu tun). /heit/ allerdings würde ich nicht als Konfix bezeichnen, auch wenn es etymologisierbar ist.

Zitat:Affixe sind dagegen oft auf eine bis einige Wortart(en) beschränkt, daher *unkaputtbar

/kunft/ ist als Substantivierung auch nicht in Verben enthalten, oder?

(10.04.2018, 21:30:41)Yaouoay schrieb:

Zitat:Manche Konfixe können sehr wohl allein stehen: Alles bio oder was? | Kurzwortbildungen Chemo, Thermo usw.

Ja, wenn man die Umgangssprache mit einbezieht, gibt es so gesehen auch freistehende Konfixe.

Und wieso sollte man die nicht mit einbeziehen?

Zitat:

Zitat:{-ung} ist nicht etymologisierbar

/heit/ hingegen komme von heiter, sagt der Duden (habe mit der Stimmung zu tun). /heit/ allerdings würde ich nicht als Konfix bezeichnen, auch wenn es etymologisierbar ist.

Wie gesagt, das ist graduell. Eher x .... eher nicht y. {-heit} ist sicherlich schon weiter grammatikalisiert und damit eher affixhaft. Übrigens ist die Schreibung mit Virgeln /.../ etwas für die phonologische Notation. In der Morphologie sind geschweifte Klammern {...} üblich.

Zitat:

Zitat:Affixe sind dagegen oft auf eine bis einige Wortart(en) beschränkt, daher *unkaputtbar

/kunft/ ist als Substantivierung auch nicht in Verben enthalten, oder?

Substantivierung: zunächst einmal das Zum-Substantiv-Machen, aber auch (metonymisch) das Zum-Substantiv-Gemachte; ersteres passt nicht gut, zweiteres hat wenig damit zu tun, welche Kombinationen es eingehen kann. Ein durch Substantivierung geschaffenes Substantiv ist eben ein Substantiv und unterliegt dann den Kombinationsbedingungen der Substantive und nicht mehr denjenigen der Herkunftswortart.

Kunft ist übrigens, wie seine Reimwörter Vernunft, Brunft/Brunst, Zunft, ein sogenanntes -ti-Abstraktum, das jeweils aus Verbstämmen (kommen, nehmen, brennen, ziemen) abgeleitet ist.

Als Kompositionszweitglied bestimmt -kunft natürlich die Wortart des Kompositums, nicht anders als andere Basen es auch tun: Wenn ich x + Substantiv komponiere, dann ist das Ergebnis zwangsläufig ein Substantiv. Insofern kann Kunft nur dann in einem komplexen Wort einer anderen Wortart stehen, wenn es nicht das Letztglied ist, wie eben in künftig. Auch hier zeigt sich der Unterschied zwischen Affix und Konfix: Das Konfix hat hier noch Worteigenschaften (eben die Wortartenzugehörigkeit), die ein Affix nicht hat.

Zitat:

Zitat:

Zitat:Manche Konfixe können sehr wohl allein stehen: Alles bio oder was? | Kurzwortbildungen Chemo, Thermo usw.

Ja, wenn man die Umgangssprache mit einbezieht, gibt es so gesehen auch freistehende Konfixe.

Und wieso sollte man die nicht mit einbeziehen?

Ich persönlich würde mich bei dieser Frage auf die konstanten Sprachregeln konzentrieren; die Umgangssprache wandelt sich fortwährend. 
Es ist aber möglich, dass "bio" z. B. irgendwann ein hochsprachliches Adverb wird.
Wie gesagt: Sprache ist zu abstrakt, um sie perfekt in Kategorien einteilen zu können. Da muss man genau unterscheiden, inwiefern man z. B. Umgangssprache einbezieht.

Zitat:Übrigens ist die Schreibung mit Virgeln /.../ etwas für die phonologische Notation. In der Morphologie sind geschweifte Klammern {...} üblich.

Danke für den Tipp! Ich dachte, beides wäre möglich in der Morphologie.

(11.04.2018, 16:47:18)Yaouoay schrieb: Ich persönlich würde mich bei dieser Frage auf die konstanten Sprachregeln konzentrieren; die Umgangssprache wandelt sich fortwährend. 

My, have I got news for you!  
Die einzigen Sprachen, die sich nicht verändern, sind tote Sprachen.


Un zu den Klammern: https://www.linguisten.de/Thread-Textaus...atierungen

(11.04.2018, 16:47:18)Yaouoay schrieb:

Zitat:

Zitat:
Ja, wenn man die Umgangssprache mit einbezieht, gibt es so gesehen auch freistehende Konfixe.

Und wieso sollte man die nicht mit einbeziehen?

Es ist aber möglich, dass "bio" z. B. irgendwann ein hochsprachliches Adverb wird.

Als Adverb? Was wäre denn eine Verwendung von "bio" als Adverb?

Man kann sich ja bereits heute darüber streiten, ob es Kompositionsglied, Konfix oder Adjektiv ist. Verwendungen von letzterem überraschen erstmal, klingen aber bereits natürlich und sind nicht nur 'umgangssprachlich' zu finden.

Zitat:Obwohl das Fleisch aus der Region stammt und die Brühwürfel ebenso bio sind wie vieles Obst und Gemüse, spricht man nicht den Edelgourmet an. (DWDS, ZEIT 13.12.2010, Nr. 50)

 (Das DWDS taggt die Verwendung als Adjektiv tatsächlich noch als umgangssprachlich) Ein schönes Zeichen ist auch, dass der Eintrag zu bio- gerade überarbeitet wird  :) :D

(12.04.2018, 07:04:24)lingucat schrieb:

(11.04.2018, 16:47:18)Yaouoay schrieb: Es ist aber möglich, dass "bio" z. B. irgendwann ein hochsprachliches Adverb wird.

Als Adverb? Was wäre denn eine Verwendung von "bio" als Adverb?

Ich habe es als Adverb identifiziert, weil es unflektierbar ist und ich es noch nie als Attribut gesehen habe.
Und im Satz "Sie essen nur bio." sieht es mir ganz nach einem Adverb aus.

janwo schrieb:Un zu den Klammern: https://www.linguisten.de/Thread-Textaus...atierungen

Danke für den Link!

Naja, in lingucats Beispielsatz handelt es sich ja wohl um eine prädikative Verwendung des Adjektivs, genauer um ein Objektsprädikativ:

Obwohl das Fleisch aus der Region stammt und die Brühwürfel ebenso bio sind wie vieles Obst und Gemüse, spricht man nicht den Edelgourmet an. (DWDS, ZEIT 13.12.2010, Nr. 50)

Prädikativ verwendete Adjektive sind aber nun mal nicht flektierbar und einige Adjektive kann man auch nur prädikativ verwenden:

Die Freunde sind quitt.

aber

*Die quitten Freunde ...

Nichtfllektierbarkeit heißt also nichts. In einem anderen Post meintest Du ja noch, dass Unflektierbarkeit auf Partikelstatus hindeute. Und in dem Beispielsatz

Alles bio oder was?

liegt ja erstmal eine Verbellipse vor. Wird diese so rekonstruiert

[Ist] alles bio oder was?

Dann haben wir ebenfalls wieder eine Verwendung als Objektsprädikativ, was wiederum auf ein Adjektiv hinweist.


Gruß
PeterSilie

Zitat:Die Freunde sind quitt.

aber

*Die quitten Freunde ...

In Norddeutschland veradjektivisieren wir gerne ad-hoc, da würde auch durchaus ein "die quitten Freunde" spontan auftreten.

Ist es eine kohärente Eigenschaft eines Konfixes, dass es prädikativ als Adjektiv auftritt: "Der Apfel ist bio." aber dann als 'Kompositum' (wenn es eines ist?) "der Bio-Apfel"? 
Gehört zu diesem Spektrum an Wörtern auch das "Scheiß-"? Der Duden deklariert es als Präfix. (Ich höre auch oft, dass Menschen die Betonung auf die Silbe nach dem "Scheiß-" legen?!) Und es kann prädikativisch gebraucht werden: "Der Mann ist scheiße." Aber es kann kein nicht vor einem Nomen verwendet werden.

Welche anderen Adjektive gibt es denn noch, die sich so verhalten?

In Norddeutschland (ich kann nur dafür sprechen) machen wir oft neue Adjektive durch das Suffix "-ig", wie aus "sexy" machen wir dann "ein sexiger Mann" oder aus "Scheiße" machen wir "ein scheißiger Mann". Meist wirkt es eher wie Behelfsendungen, weil "ein sexy Mann" zu undekliniert wirkt und "Scheiße" halt kein Adjektiv hat. Ich kann mir nun ad-hoc aber keinen *bioigen Apfel vorstellen. Also selbst für uns Behelfsadjektivisten wäre das beschränkt. (Nun weiß ich nicht, ob das auch an der Phonologie mit dem Vokalauslaut liegen könnte, oder vielleicht weil die Langform "biologisch" damit assoziiert als Nebenform im aktiven Wortschatz auch vorhanden ist.)

Kann die Benutzung "Die Brühwürfel sind bio." nicht auch einfach eine Ellipse sein: "Die Brühwürfel sind Bio(brühwürfel)."? Aber dagegen würde wohl stehen, dass man es wie ein Adjektiv modifizieren kann "Die teuren Brühwürfel sind mehr bio als die Billigmarke.", "Die Brühwürfel sind grün und bio.", etc. Aber man kann zum Beispiel nicht sagen "*Die Brühwürfel schmecken bio." 
Ist der prädikative Gebrauch von Konfixen vielleicht aus so einer Ellipse entstanden und vergrammatikalisiert worden?

Ja gut, aber die berühmt-berüchtigte Norddeutsche Veradjektivierung geht ja sogar mit Adpositionen. In Münster geht so etwas wie: Der Mann mit dem appen Bein steht an der zuen Tür.

Als Präfix würde ich diese ganzen Fäkalqualifikationen (Kack-, Mist-, Scheiß-, ^?Furz-) nicht werten. Konfixe, ok, aber Präfix? Nee. Dafür ist die Anwendungsbreite zu groß, sie treten ja nicht nur mit Substantiven auf, sondern auch mit Adjektiven, Verben, Numeralen, Interjektionen (dort auch rekursiv) auf. Viel Spaß beim Beispiele Ausdenken

Die Unflektierbarkeit in attributiver Verwendung ist kein echtes Problem. Das haben einige reguläre (Farb-)Adjektive zumindest standardsprachlich auch: das lila Haus; ugs. mit "Behelfssuffix": das lilane Haus.

PeterSilie schrieb:Naja, in lingucats Beispielsatz handelt es sich ja wohl um eine prädikative Verwendung des Adjektivs, genauer um ein Objektsprädikativ:

Obwohl das Fleisch aus der Region stammt und die Brühwürfel ebenso bio sind wie vieles Obst und Gemüse, spricht man nicht den Edelgourmet an. (DWDS, ZEIT 13.12.2010, Nr. 50)

Prädikativ verwendete Adjektive sind aber nun mal nicht flektierbar und einige Adjektive kann man auch nur prädikativ verwenden:

Die Freunde sind quitt.

aber

*Die quitten Freunde ...

Nichtfllektierbarkeit heißt also nichts. In einem anderen Post meintest Du ja noch, dass Unflektierbarkeit auf Partikelstatus hindeute. Und in dem Beispielsatz

Alles bio oder was?

liegt ja erstmal eine Verbellipse vor. Wird diese so rekonstruiert

[Ist] alles bio oder was?

Dann haben wir ebenfalls wieder eine Verwendung als Objektsprädikativ, was wiederum auf ein Adjektiv hinweist.


Gruß
PeterSilie

Ich habs mir wohl sehr einfach gemacht mit dem Wortarteneinteilen. Das ist eine komplexe Angelegenheit, die ich so schnell nicht mehr unterschätzen werde. ^^

Kevin schrieb:(Ich höre auch oft, dass Menschen die Betonung auf die Silbe nach dem "Scheiß-" legen?!)

Ja, deswegen tendiere ich hier zu z. B. "scheiß Regeln" und nicht "Scheißregeln"; ich kenne es nämlich auch auf dem Substantiv betont.


LG~Y

Liebe Linguisten!
Ich danke allen für die subtilen und informativen Antworten.  :)
Leider etwas spät, aber ich bin nicht per E-Mail benachrichtigt worden :(

Wusste nicht, dass ich bei jedem Beitrag neu abonnieren muss ...

Dass die Diskussion am Ende in "Fäkalqualifikationen" abschweift, hätte ich mir gerne erspart, aber manche wollen wohl auch partout dem "vulgus" wissenschaftlich auf's Maul schauen.

Komisch, dass "Kunst" von "können" durchaus noch als Substantiv gebräuchlich ist, "Kunft" von "kommen" aber nicht.

Wenn aber "Kunft" die ursprüngliche Substantivierung war, kann es ja ungeachtet des "empirischen" Gebrauchs nicht falsch sein, "Kunft" ein Substatntiv zu nennen.

Aber "Konfix" ist auch eine plausible Antwort.



Danke, Danke, Danke ...