Ich dachte - Er würde mit ihr tanzen - Als er ihr zugezwinkert hat
Betrachten wir den Gesamt-Satz mit seinen drei Teilsätzen in seiner Aussagenstruktur: syntaktisch, semantisch und hinsichtlich temporaler und modaler Auffälligkeiten.
(1) Abhängigkeiten, Zeitstrukturen, Modus und Tempus
Es gibt einen Sprechzeitpunkt, in dem in einer Sprechgegenwart auf ein zurückliegendes Ereignis „Denken“ zurückgeblickt wird. „Denken“ bedeutet hier von der Semantik soviel wie „glauben, meinen, begründet der Ansicht sein“ und weniger einen durativen Vorgang des Denkens und Grübelns.
Der Denkvorgang lässt sich als eine Art von schneller, fast intuitiver Schlussfolgerung mit referentiellem Bezug auf ein beobachtbares Datum/Faktum verstehen: Aus dem Zuzwinkern – lokalisiert in einer Welt des Flirtens, des Tanzen und der dazugehörigen Regeln und Gewohnheiten – aus „Weltwissen“ also, lässt sich schließen, dass ein „er“ gleich mit einer „ihr“ tanzen wird, dass also in naher Zukunft zu dem Ereignis „zuzwinkern“ eine Aufforderung und wahrscheinlich ein gemeinsamer Tanz erfolgen wird.
(2) Das Verbum „sentiendi“ und sein Indirektheitswert
Nun ist das Verb „denken“ durchaus mit gewissen Grundbedingungen vorbelastet, eine davon ist, dass das, was man denkt, bloß etwas Subjektives ist und dass es sich, besonders mit Bezug auf die Zukunft, nicht oder nicht unbedingt bestätigen wird. Als „verbum sentiendi“ kann es eine referierte (indirekte) stille Rede/Gedankenrede einleiten oder eine entsprechende Kurzform konstituieren.
In unserem Satz referiert ein sprechendes Subjekt auf sich selber und zwar auf ein eigenes Verhalten („denken“) in der Vergangenheit. Das ist zwar anders als im Standardfall der indirekten Rede, die normalerweise Worte und Gedanken eines Dritten (eines „Er“ …) referiert, die dieser in der Vergangenheit geäußert hat. Und damit ist der Sprecher bis zu einem gewissen Grad aus dem Normalstandard einer Äußerung ausgeschert. Man nimmt normalerweise einen Sprecher dafür in Dienst, dass seine Aussagen in irgendeiner Weise gültig sind. Und entledigt sich somit in der indirekten Rede - nennen wir es einmal leicht dramatisch - der „Verbürgungspflicht“. Und damit ist zumindest offen, ob das Referierte vom referierenden Sprecher als gültig mit-geteilt wird.
Hier aber liegt ja Sprecheridentität vor. Also scheint das Verbürgungsproblem samt Distanzierung keine Rolle zu spielen.
Andererseits aber kann ja gerade in den unterschiedlichen Zeitpunkten von Reden des gleichen Sprechers eine Veränderung in der Realitätseinschätzung stattgefunden haben. Somit könnte auch in unserem Satz im Subtext eine gewisse Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass es zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu einer Selbstkorrektur hinsichtlich der damaligen Voraussage gekommen sein könnte. Mit anderen Worten, das zukünftige Ereignis des Beobachter- und Sprecherzeitpunktes von „denken“, also das „Tanzen“ hat sich im weiteren Verlauf eben nicht bestätigt. Und dieser Verlauf ist einiger Wahrscheinlichkeit nach vom Sprecher beobachtet worden, auch wenn natürlich ein „Weggehen“ oder „weiter nicht beachten, was da vorgeht“ nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann.
(3) Ambiguität und Wahrscheinlichkeitskonstrukte
Soweit, so gut, mag man sich denken und - grammatisch-pragmatisch – die Aussage mit „würde“ als einen Potentialis klassifizieren (Gernot), weil das Zutreffen oder Nichtzutreffen des Aufforderns (und Tanzens) recht offen bleibt. Andererseits zögert man vielleicht bei dieser Interpretation. Folgende Motive könnten dabei vorliegen:
a) Hier heißt es „würde tanzen“ und nicht „werde tanzen“ oder „wird tanzen“. Man mag diese drei Verbformen als Kovarianten der gleichen Aussage und Einstellung ansehen mit allenfalls leichten Unterschieden im Geltungsanspruch. Aber dennoch: Eine „würde“-Formulierung ist anders als eine Konjunktiv I-Formulierung („werde“) oder als der Indikativ offener für Realitätskorrekturen oder weniger wahrscheinlich in der Validität ihrer Bewährung durch die Zukunft.
b) Eine pragmatische Überlegung: Wenn sich eine Vorerwartung in der Zukunft bestätigt, so mag das berichtenswert sein. Allerdings gilt das vielleicht nicht für die eher triviale Folgerung, dass in einem Tanzszenario nach einem Augenzwinkern mit Partnerbezug auch ein gemeinsamer Tanz erfolgen wird. Eher berichtenswert ist wohl, wenn das weniger Erwartete eintritt. Somit deutet die „würde“-Form vielleicht an, dass die zukünftige Handlung vom Orientierungszeitpunkt „denken“ her gesehen, wahrscheinlich war, vom Orientierungszeitpunkt „Sprechen“ her, aber eher nicht stattgefunden hat.
(4) Vereindeutigungspartikel
Das alles bewegt sich natürlich nur in einem eher vagen Deutungsspektrum. In der Realität von Sprachäußerungen wird man wohl doch eher auf eine Vereindeutigung stoßen. So dürften Modalpartikel wie „eigentlich“ oder „schon“ auftauchen:
„Eigentlich dachte ich, dass er mit ihr tanzen würde, als er sie angezwinkert hatte“. Hier ist der gedachte, latente Zusatz „aber er tat es nicht“ sehr viel wahrscheinlicher als der Zusatz „Und er tat es auch“. Ein Zusatz, der wegen der gespannten (?) Erwartung einer vorauszusetzenden Information, wie es denn nun weitergeht, fast ein wenig komisch kollabiert/crasht.
Eine Modalpartikel wie „schon“ dürfte in einer bestimmten Stellung und mit einer bestimmten Betonung auf eine Bestätigung vorverweisen:
„Schon als er ihr zuzwinkerte, dachte ich, dass er mit ihr tanzen würde.“ „Ich dachte schon, dass er mit ihr tanzen würde, als er ihr zuzwinkerte. Und er tat es dann auch.“ Aber auch hier ist eine gegenläufige Fortsetzung möglich, wenn vorher ein konzessives „schon“ gesetzt wurde: "Ich dachte schon, (auch wenn man da anderer Meinung sein konnte), dass er sie auffordern würde… und .. aber tatsächlich tat er es nicht.“
Man sieht, das „schon“ kann signalisieren, dass zu einem frühen Zeitpunkt für ein beobachtendes Ich klar ist, was sich nachher bestätigt. Die Partikel kann aber auch signalisieren, dass eine vorher bezweifelte Feststellung sich gegen frühere eigene oder fremde Vorbehalte durchgesetzt hat.
(5) Fazit
Sowohl im Zusatz von Partikeln wie auch bei fehlenden Partikeln hat die Formel „er würde sie zum Tanze auffordern“ ein bestimmtes Spektrum von Bedeutungsmöglichkeiten, das dann durch den jeweiligen Kontext sprachlicher und pragmatischer Elemente aktualisiert werden kann. Wobei referierende und inferentielle (folgerungsorientierte) Elemente eine steuernde Rolle spielen.
Immerhin scheint mir bei aller Vagheit die Potentialis-Deutung der „würde-‚Form“ zwar möglich, aber die "Irrealisnähe" (Ines) doch um einiges wahrscheinlicher zu sein.
Literatur:
Zum Konjunktiv gibt es natürlich unüberschaubar viel an Literatur. Empfehlenswert bei beschränkter Zeit:
Simone Heinold: Tempus, Modus und Aspekt im Deutschen. Ein Studienbuch. Tübingen: Narr Francke 2015.
Anna Socka: Die Konstruktion würde+Infinitiv als evidentieller Ausdruck des Deutschen
http://staff.germanistik.rub.de/zelle/wp...a_2008.pdf