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tztztz > 15.09.2016, 09:52:20
Gernot Back > 16.09.2016, 14:47:26
(15.09.2016, 09:52:20)tztztz schrieb: Ich würde aber gerne wissen, ob es Theorien und/oder empirische Evidenz darüber gibt welche Faktoren die Schwierigkeit in der Rechtschreibung ausmachen.Ich würde sagen, dass die Hauptschwierigkeit dann besteht, wenn ein Wort von der letzten großen Rechtschreibreform mit ihren vielen Hin- und Heränderungen betroffen war!
Anna K. > 19.09.2016, 10:15:09
PeterSilie > 19.09.2016, 18:22:26
tztztz > 20.09.2016, 09:27:17
(16.09.2016, 14:47:26)[Anonymisiert] schrieb: Ich würde sagen, dass die Hauptschwierigkeit dann besteht, wenn ein Wort von der letzten großen Rechtschreibreform mit ihren vielen Hin- und Heränderungen betroffen war!
(19.09.2016, 10:15:09)Anna K. schrieb: Die Rechtschreibung im Deutschen ist ein Zusammenspiel von diversen Prinzipien, die ggf. unterschiedlichen und widersprüchlichen Output erzeugen und entsprechend gewichtet werden müssen. Bspw. ist es zum einen die lautliche Ebene, die wir versuchen graphematisch abzubilden, aber auf der anderen Seite auch die Bedeutungsebene, die in der Schreibung erhalten werden soll. Eine Herausforderung ist es somit, nicht nur die Buchstaben/Grapheme zu kennen, sondern auch das grammatisch-semantische Wissen von Einheiten (Morpheme, Wörter) in einem Satz abzubilden. Empirische Belege findest du sowohl in Schülertexten, wo man die individuelle Entwicklung der Rechtschreibung nachvollziehen kann (besonders Grundschule), aber auch natürlich in jedem geschriebenen Text, der Fehler enthält, die wiederum auf die einzelnen Prinzipien zurückgeführt werden können.
(19.09.2016, 18:22:26)PeterSilie schrieb: Ich hatte mal über das Thema drübergelesen und jetzt ist mir eine Idee gekommen. Meine Idee bezeiht sich nur auf die Getrennt- und Zusammenschreibung (GZS) im Deutschen. Jacobs (2006) nimmt eine Analyse im Rahmen der Optimalitätstheorie (OT) für die GZS vor.
Wenn Du Dich nicht mit der OT auskennst, in dem Buch wird sie gut erklärt. Nur ganz kurz: Im Rahmen der OT wird die GZS nicht über Regeln geregelt, sondern über Beschränkungen. Wo ist der Unterschied? Regeln müssen befolgt werden und Beschränkungen können verletzt werden. Regeln stehen in keiner Ordnung zueinander, Beschränkungen sind gewichtet, einige sind wichtiger als andere. Dementsprechend wiegt ein Verstoß gegen eine wichtige Beschränkung schwerer als ein Verstoß gegen eine nicht so wichtige. Außerdem sind Verstöße gegen Beschränkungen kumulativ. Man kann gegen sie also mehrmals verstoßen.
Nun zu meiner Idee: Eventuell kann man aufgrund der Art und der Häufigkeit der Verstöße gegen Beschränkungen extrapolieren, wann Rechtschreibschwierigkeiten bestehen und wann nicht. Das heißt, ist ein komplexes Zusammenspiel von Beschränkungen und Verstößen involviert, sollten mehr Schwierigkeiten zu erwarten sein.
Jacobs, Joachim (2006): Spatien. Berlin: de Gruyter.
PeterSilie > 20.09.2016, 11:40:25
(20.09.2016, 09:27:17)tztztz schrieb: das hört sich spannend an. gibt es denn empirische untersuchungen dazu wie häufig es zu gewissen verstößen kommt oder nicht?
lg tztztz
tztztz > 20.09.2016, 13:20:49
(20.09.2016, 11:40:25)PeterSilie schrieb:(20.09.2016, 09:27:17)tztztz schrieb: das hört sich spannend an. gibt es denn empirische untersuchungen dazu wie häufig es zu gewissen verstößen kommt oder nicht?
lg tztztz
So war das nicht gemeint. Verstöße gegen Beschränkungen sind systemimmanent und müssen teilweise vollzogen werden. Ein einfaches Beispiel, bei dem es wahrscheinlich keine Probleme geben dürfte: In der Deutsche Orthographie gilt die Beschränkung, dass morphologisch gebildete Ausdrücke zusammengeschrieben werden. Partikelverben verstoßen gegen diese Beschränkung zugunsten einer wichtigeren Beschränkung, nämlich dass bei der Bewegung des finiten Verbs in die linke Klammer, wobei die Verbpartikel zurückbleibt (Beispiel unten), das Partikelverb getrennt geschrieben werden muss:
1.) [...] dass Peter den Fernseher ausmacht. (keine Bewegung des finiten Verbs → Zusammenschreibung)
2.) Peter macht den Fernseher aus. (Bewegung des finiten Verbs → Getrenntschreibung)
Hier liegt also ein Verstoß gegen die Beschränkung vor, dass morphologisch gebildete Ausdrücke zusammengeschrieben werden müssen.
Kommen wir zu einem etwas schwierigeren Besipiel - die Rückbildung notlanden. Eine weitere Beschränkung besagt, dass alle Ausdrücke getrennt zu schreiben sind. Wichtiger als diese ist die oben beschriebene Beschränkung, dass morphologisch gebildete Ausdrücke zusammengeschrieben werden. Notlanden wird nach der neuen GZS zusammengeschrieben. Das ist auch folgerichtig, da der Prozess der Rückbildung eine morphologische Bildungsweise ist. Hier liegt also ein Verstoß gegen die Beschränkung vor, reguläre Ausdrücke getrennt zu schreiben.
Mit Blick zurück verstößt ausmacht in (1.) auch gegen die Beschränkung zur Getrenntschreibung regulärer Ausdrücke, macht ... aus in (2.) hingegen nicht.
In Jacobs Buch wird auch ein Vergleich der alten und der neuen GZS vorgenommen, das kann man ganz gut sehen, was sich warum geändert hat.
Viele Grüße
PeterSilie
Kevin > 20.09.2016, 15:52:13
Anna K. > 20.09.2016, 21:30:54
(20.09.2016, 09:27:17)tztztz schrieb: eine schwierigkeit die du ansprichst ist die laut-graphem zuordnung. darunter ist, soweit ich richtig informiert bin, etwa gemeint, dass man vertauschungen zw. V, F, PH vornehmen kann. z.B. wenn man Vase mit W(ase) oder PH(ase) schreibt. gibt es untersuchungen darüber, welche laut-graphem zuordnungen besonders schwer fallen? kann man z.B. sagen das vertauschungen von V, F, PH schwerer fallen als vertauschungen von G, K oder D, T oder ist das immer eine komplexe interaktion von wort (länge, häufigkeit) und konkreter graphem-phonem zuordnung (G, K, usw.)
als zweite schwierigkeit sprichst du von der bedeutungsebene. könntest du möglicherweise etwas konkreter auf diesen punkt eingehen, da ich mir noch nicht ganz sicher bin was damit gemeint ist. geht das eher in die richtung, das regeln der grammatik gekannt und angewendet werden müssen?