Hallo
Jon!
Vorbemerkung I: Es ist zwischen typologischen (zufällig, unabhängig der Verwandtschaft) und genetischen (Erbe aus einer gemeinsamen Vorstufe) Gemeinsamkeiten zwischen Sprachen zu unterscheiden ist. Bei deinem Thema mischt sich aber beides (richtigerweise).
Vorbemerkung II: Günstigererweise betrachtet man bei der historisch-vergleichenden Sicht die ältesten Sprachstufen, man würde also Althochdeutsch als Ausgangspunkt nehmen, das den sogn. Rückumlaut ja auch bereits kennt.
In fast allen indogermanischen Sprachen sind die von dir genannten Suffixe zur Verbalstammbildung produktiv. Gerade *-
i̯e/o- ist seit urindogermanischer Zeit beliebt für sekundäre (z.B. denominale) Verben. Damals führte es auch noch zu einer sehr guten Segmentierbarkeit von Wurzel, ggfs. Basissuffix, stammbildendem *
-i̯e/o- und Endung.
Verbindungen von Konsonant +
j oder
i sind aber typologisch anfällig für Lautwandel, vgl. z.B. auch die Palatalisierungen in romanischen Sprachen (nhd.
Nation). So kam es auch in
späteren Stufen der indogermanischen
Einzelsprachen bei diesen Verbindungen zu lautlichen Veränderungen:
Im Westgermanischen kommt es bei bei Antritt eines Suffixes mit -
i̯- sehr oft zu Gemination des letzten Konsonanten der Wurzel/Basis, vgl. urgerm. *
tal-i̯e/a- ‚(auf)zählen‘ > ahd.
zellen, as.
tellian, ae.
tellan, afries.
tella (vs. aisl.
telja); ebenso dein Beispiel
brennen. Zusätzlich Umlaut bewirkt das *
i̯ nur bei altem *
a der Wurzel, welches in vielen Fällen auf einen Kausativ zurückgeht, der, wie du schon richtig andeutest, die uridg. Struktur *Wurzel(-o-)+-
éi̯e- besaß. Das Suffix des Kausativs -
ei̯e- fällt im Germanischen mit dem denominativem -
i̯e/o- zusammen, die Formen sind also nur noch an der Ablautstufe der Wurzel, an ihrer Bedeutung und sprachhistorisch zu unterscheiden.
Im Griechischen passiert je nach vorausgehendem Konsonanten bei Antritt von *-
i̯e/o- recht verschiedenes: z.B.
*k + i̯ > ττ (φυλά
ττω :: φύλα
ξ),
*l + i̯ > λλ (dein ganz richtiges Beispiel ἀγγέ
λλω :: ἄγγε
λος),
*d/g + i̯ > ζ, etc. Zusätzlich kann der vorausgehende Vokal verändert werden: καθ
αρός --> καθ
αίρω mit scheinbarer (?) Metathese *-
ari̯- > -
ai̯r- und κτ
είνω :: Fut. κτ
ενῶ mit *-
eni̯- > -
ei̯n-.
Hierbei gibt es z.T. starke dialektale Unterschiede (vgl. die entsprechenden Reflexe in den verschiedenen äolischen Varietäten, im Kretischen und im Kyprischen!).
--> Vgl. RIX, Historische Grammatik des Griechischen, 1992: §§ 215a. 70. 74. 102f.
-ίζω wie in νομίζω ist eine griechische Neuerung, und zwar aus solchen o.g. Fällen mit starker Veränderung des Auslauts der Basis abstrahiert: ἔρις, -ιδος --> denominales Verb *
eridi̯e/o- > *
eridze/o > ἐρί
ζω --> von späteren Sprechern interpretiert als ἐρ(ί) + ίζω. νομίζω dürfte dieses erweiterte Suffix sekundär in Analogie zu Fällen wie ἐρίζω übernommen haben.
Man kann sich überlegen, ob der Verlust der Transparenz dieser Bildungen einerseits zu einer falschen Reanalyse geführt hat und andererseits das so neu entstandene Suffix als praktisch empfunden wurde und produktiv geworden ist, da es nicht zu synchron unregelmäßigem Lautwandel führt.
Gemeinsam ist deinen Fällen im Deutschen und im Griechischen also das gemeinsame idg. Erbe der Bildung des Präsensstammes mit einem Suffix -
i̯e/o-, welches eben auch nur im Präsens erscheint, und das Bestreben der jeweiligen Sprecher, dem Lautwandel zum Trotz diesen Unterschied zu bewahren. In der weiteren Sprachgeschichte haben parallel unterschiedliche Lautwandelprozesse eingesetzt, deren Resultate die beiden Sprachen gemäß allgemeinsprachlicher typologischer Tendenzen entweder bewahrt und ausgenutzt oder beseitigt haben.
p.s. Die Gleichung lat. etc.
j ~ agr. ζ betrifft nur den Anlaut; uridg. *
i̯- zeigt hier aber zwei verschiedene Reflexe, deren Verteilung nicht geklärt ist (Laryngale können tlw. helfen). Für den Inlaut gilt immer: uridg. *-
i̯- > vor-agrch. *-
i̯-/-
h- > agrch. ∅.