Unterschied Pragmatik und Semantik

Ich habe eine Frage, weiß aber nicht, ob die total dumm ist und ich irgendwas eindeutiges übersehe. Ich hab ein Semantik-Pragmatik-Problem.

Die folgenden Wörter haben einen klaren Unterschied (ich geh hier jetzt immer von meinem innerlichen Weltbild aus, kann sein, dass andere die Dinge anders sehen): (1) bezeichnet ein Haus, das größentechnisch nicht zu sehr von der Norm abweicht. (2) ist ein Haus, das kleiner ist als das durchschnittliche Haus.

(1) Haus

(2) Häuschen

Zweiteres kann dann pragmatisch verwendet werden, um ein Haus, das eigentlich der gernormten Größe entspricht negativ zu konnotieren, z.B. um auszudrücken, dass ich ein viel größeres Haus hab, oder?

(3) Du hast aber ein schönes Häuschen.

Wenn das soweit richtig war, komm ich zu meinem eigentlichen Problem und zwar die folgenen zwei Sätze.

(4) Lass mal ein Bier trinken gehen.

(5) Lass mal ein Bierchen trinken gehen.

Stellen wir uns nun eine idealisierte Welt vor, in der es Bier nur in einer Größe gibt, das Diminutivsuffix hier also nicht die Größe des Biers ausdrückt. Dann ist der Unterschied zwischen (4) und (5) doch kein semantischer, sondern ein pragmatischer, oder? Weil ja, wenn es keinen semantischen Unterschied gibt zwischen Bier und Bierchen, die beiden Sätze isoliert betrachtet genau das selbe bedeuten. Der Unterschied liegt ja dann darin, in welchem Kontext ich welchen Satz verwende?
Wenn ich meinem Bauchgefühl folge, dann würde (5) - auf jeden Fall für mich - eine Situation implizieren, die lockerer ist und der Fokus eher auf der Aktivität liegt und nicht so sehr auf dem Bier?

Entschuldigt falls die Frage irgendwie naiv ist aber ich begreif's grad echt nicht :)

Ich denke auch, dass das <chen> hier nicht von semantischer Relevanz ist.    Das 'Bierchen' kann hier auch ein großes Bier sein.

Hallo, linguism!


Zu Deinem ersten Beispiel:

Ob der Diminutiv hier von denotativer (semantischer) oder konnotativer (pragmatischer) Bedeutung ist, hängt vom Kontext ab. 
Ist es ein semantischer Diminutiv, handelt es sich bei einem "Häuschen" um ein kleines Haus, wie Du richtig angemerkt hast:

"Wir haben ein Häuschen am Bodensee, da fahren wir immer in den Sommerferien hin."

Hier ist wahrscheinlich keine Villa gemeint, sondern eine Ferienhütte.
Im Kontext Deines Beispielsatzes (3) aber könnte es sich auch um einen pragmatischen Diminutiv handeln:

"Du hast aber ein schönes Häuschen."

Dieser Satz wäre nicht fehl am Platz, würde er auf eine Villa verweisen. In diesem Fall wäre er ironisch gemeint, was auf eine pragmatische Verwendung des Diminutivs hinweist. Negativ braucht die Konnotation gar nicht zu sein.


Zu Deinem zweiten Beispiel:

Hier (5) könnte, neben dem offensichtlich pragmatischen, auch ein semantischer Diminutiv gemeint sein, wenn tatsächlich nur ein kleines Bier gemeint ist:

"Lass mal ein Bierchen trinken gehen[, aber nicht zu viel, ich muss später noch fahren]."

Wobei die Verwendung des Diminutivs in Verbindung mit dem familiären Adhortativ ("Lass mal") gleichzeitig pragmatisch zu analysieren wäre, da man ihn nicht in einem formellen Kontext verwenden würde.


Ich hoffe, ich konnte Dir weiterhelfen.
Und naiv finde ich Deine Frage nicht, keine Sorge. (;

Mit freundlichen Grüßen
Yaouoay

Es ist ein übliches Mittel sprachlicher Höflichkeit (d.h. in der Pragmatik), mit Diminutiven und mitunter sogar Pejorativen u.ä. Deferenz auszudrücken. Wer von seinem "Häuschen am Bodensee" spricht, möchte mit dem {-chen} eine gewisse Bescheidenheit ausdrücken (ob geheuchelt oder aufrichtig ist erstmal egal). Man will nicht als Angeber/in wirken, also macht man das Eigene klein. Das sieht man sehr schön in Übersetzungen aus diversen ostasiatischen Sprachen, die heir viel stärker differenzieren und wo es zum Teil lexikalisierte Markierungen gibt (z.B. verschiedene Pronomen, Verbformen, Nomen), je nach dem ob Reverenz oder Deferenz ausgedrückt werden soll: Da ist dann von "mein bescheidenes Heim"  usw. die Rede. Dieses bescheiden ist vergleichbar mit der pragmatischen Verwendung des Diminutivs.

Oh da habe ich auch eine Frage. Mir ist der Unterschied zwischen Pragmatik und Semantik auch oft unklar.
Kann mir vllt eine_r Beispiele nennen, wo es klar pragmatisch, klar semantisch ist und noch ein weiteres Beispiel, wo es unklar ist bzw. beides möglich wäre.
Wenn ich sage: Gehen wir ein Stündchen spazieren? - Dann ist Stündichen pragmatisch, weil eine Stunde immer 60Minuten hat und hier der Diminutuv eher affektiv oder pejorativ genutzt wird. 
Aber kann nicht auch die Bedeutung (Semantik) dann einfach in dem Fall affektiv/pejorativ sein?
Wenn ich sage: Der Baum ist groß. Dann ist die Semantik des Worts groß eben hoch etc.  (Weil der Baum wirklich 5m hoch ist)
Wenn ich sage: Träume süß! Dann ist doch die Verwendung des Worts süß sowohl semantisch (schöne Träume, ruhiger Schlaf etc.
Bin etwas verwirrt.

Also ist Semantik die "eigentliche" Bedeutung und Pragmatik schaut quasi genauer hin.
Wenn ich sage: "Er ist friedlich eingeschlafen". Ist dann der Euphemismus für Sterben auch pragmatisch zu betrachten, weil die semantische Bedeutung ja nicht schlafen im Sinne von Ruhen ist?

Vereinfacht ausgedrückt schaut man in der Semantik auf die Denotation eines Begriffs bzw. einer Aussage (Bedeutungs-/Informationsebene) und in der Pragmatik auf die Konnotation (Meinungs-/Beziehungsebene).
Ein grundlegendes Unterscheidungsmerkmal ist, dass die Pragmatik vor allem das Nicht-Wörtliche und Kontextabhängige analysiert. Je weniger „lexikalisch“ die vermittelte Botschaft, desto eher wird sie der Pragmatik zugeordnet.

Zitat:Gehen wir ein Stündchen spazieren? - Dann ist Stündichen pragmatisch, weil eine Stunde immer 60Minuten hat und hier der Diminutuv eher affektiv oder pejorativ genutzt wird.

Aber kann nicht auch die Bedeutung (Semantik) dann einfach in dem Fall affektiv/pejorativ sein?

Nein, denn die Semantik schert sich nicht um kontextbezogene Konnotation. Wenn man rein semantisch an die Aussage herangeht, könnte man das Stündchen tatsächlich als eine „knappe Stunde“ analysieren, also als weniger als 60 Minuten. Erst mit der pragmatischen Betrachtung kann man die konnotative Ebene erschließen.

Zitat:Wenn ich sage: "Er ist friedlich eingeschlafen". Ist dann der Euphemismus für Sterben auch pragmatisch zu betrachten, weil die semantische Bedeutung ja nicht schlafen im Sinne von Ruhen ist?

Auf der semantischen Ebene verändert sich nicht die allgemeine Bedeutung des Satzes, es fehlt nur die (hier) emotionale Ebene.
Semantisch könnte man den Satz als „Er ist auf friedliche Weise gestorben“ paraphrasieren. Ein Euphemismus hat per se schon sowohl eine denotative als auch eine konnotative Seite. 
Auf der pragmatischen Ebene würde dann eben noch der affektive Aspekt („… und  der gute Mann soll in Frieden ruhen, Gott segne ihn, …“, je nach Kontext) hinzukommen.
EDIT: Gänzlich ohne Kontext kann man den Satz „Er ist friedlich eingeschlafen“ natürlich schon ganz wörtlich verstehen, das hatte ich oben ein bisschen daneben formuliert. Wenn die Aussage in einem Kontext allerdings eindeutig auf den Tod eines Menschen referiert, wäre diese Analyse (einschlafen=sterben) schon semantisch und eben die emotionale pragmatisch.

Radiert das ein paar Fragezeichen bei Dir aus? (:

LG~Y

Okay, Danke Wobei ich das letzte von mir gewählte Beispiel echt nicht ganz verstehe.
Also kann einschlafen hier doch auf semantischer Ebene friedlich sterben heißen, obwohl friedlich schlafen im Grunde ja auch nur schlafen im Sinne von schlafen (ruhen) heißen kann. Mir ist das der Unterschied zum Stündchen nicht klar. Mir ist nicht klar, warum hier einschlafen auch semantisch sterben bedeuten kann...

Ganz platt gesagt: Semantik untersucht die (generelle) Bedeutung, eher so in die Richtung dessen, was dann z.B. in einem Lexikon (Wörterbuch) stehen würde. Die Pragmatik untersucht die Verwendung(sbedingungen), das sind dann eher die Sachen, die in Sprachlehrwerken und Sprachführern in hübschen Infoboxen zum Sprachgebrauch und "Dos and Don'ts" stehen.

Die Semantik sagt uns, dass Rostlaube, Vehikel, Karre, Auto, Fahrzeug, Kraftfahrzeug, Personenkraftwagen, Gefährt, Schlitten, Karosse, Nobelkarosse, usw. alle auf dieselbe Dingklasse angewendet werden können. Die Pragmatik untersucht, in welchen Kontext und gegenüber welchem Adressatenkreis die eine oder andere Form zu bevorzugen oder zu vermeiden wäre. In einem Stammtischgespräch ist die Rostlaube ok, in einem Vorstellungsgespräch (zumal aus dem Munde des/der sich Vorstellenden) eher weniger. Ob die einzelnen Begriffe dabei Metonymien/Metaphern sind (wie z.B. der Schlitten) ist für die Pragmatik eher unerheblich, das ist eine semantische Fragestellung.

Mir helfen die semiotischen Definitionen von Charles Morris, von dem gesagt wird, dass er die moderne Bedeutung des Begriffs "Pragmatik" begründet hat, bei der Unterscheidung zwischen Semantik und Pragmatik (und Syntax) oft weiter:

Zitat:One may study the relation of signs to the objects to which the signs are applicable. This relation will be called the semantical dimension of semiosis, [...] the study of this relation will be called semantics. Or the subject of study may be the relation of signs to interpreters. This relation will be called the pragmatical dimension of semiosis [...] and the study of this dimension will be named pragmatics. [...]

(Morris 1938:6f.)^[1]

Damit lassen sich meiner Meinung nach sowohl die Beispiele zu den Diminutiva als auch dem schlafen/sterben-Euphemismus relativ gut klären, denn bei einer eingehenden Analyse wird klar, dass es sich (wie die anderen auch schon meinten) nicht um kontext-freie sondern kontext- bzg. "interpretanten"-abhänige Bedeutungen handelt. Schlafen heißt erst mal nur schlafen, kann aber in bestimmten Kommunikationssituationen eben auch anders gebraucht werden.

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Fußnoten:

1. Morris, Charles (1938). Foundations of the Theory of Signs. Bd. 1. International Encyclopedia of Unified Science 2. Chicago et al.: Chicago University Press.

Zitat:Also kann einschlafen hier doch auf semantischer Ebene friedlich sterben heißen, obwohl friedlich schlafen im Grunde ja auch nur schlafen im Sinne von schlafen (ruhen) heißen kann. Mir ist das der Unterschied zum Stündchen nicht klar. Mir ist nicht klar, warum hier einschlafen auch semantisch sterben bedeuten kann...

Das Lexem <einschlafen> hat (mindestens) zwei Bedeutungen: die eine wörtlich (vom Wach- in den Schlafzustand übergehen), die andere übertragend (versterben, entschlafen). Genau wie bei janwos Schlitten, der sowohl im wörtlichen Sinne ein Gefährt mit Kufen als auch im übertragenden Sinne ein Auto sein kann, ist dies eine semantische Betrachtung, da sie nur auf der Ebene der Bedeutung analysiert.
Wenn man die pragmatische Ebene hinzunimmt, geht man auf die konnotative Bedeutung von "einschlafen" und "Schlitten" ein, die u. a. vom Kontext abhängt (d. h. der Sprecher-Adressat-Beziehung, dem Gesprächskontext und -umfeld, dem (gemeinsamen) Vorwissen etc.). Ohne einen solchen Kontext kann man nur eine recht oberflächliche pragmatische Betrachtung der Begriffe vornehmen ("einschlafen" als affektiver Euphemismus für "versterben").


Der Diminutiv hat ebenfalls sowohl eine semantische Ausdehnung (Verkleinerungsform oder lexikalisierte Bedeutung wie bei "Mädchen") als auch eine pragmatische (je nach Kontext verniedlichend, affektiv, pejorativ, trivialisierend etc.). Das Stündchen könnte also ganz ohne Kontext und nur semantisch betrachtet durchaus eine "knappe Stunde, also weniger als 60 Minuten" sein (im Sinne der Verkleinerungsform), in den meisten Kontexten erschließt sich aus pragmatischer Sicht allerdings eine noch umfassendere Bedeutung.

"Gehen wir noch ein Stündchen spazieren."

Hier drängt sich die affektive Konnotation auf. Betrachten wir es im Kontrast zu einer diminutivfreien Form:

"Gehen wir noch eine Stunde spazieren."

Unter Abwesenheit des Diminutivs wirkt der Satz sachlich und vielleicht wenig einladend. Der Diminutiv baut (in diesem Kontext) eine Familiarität auf, was durch den Adhortativ ("Gehen wir") verstärkt wird.
Um es noch weiter zu führen: Pragmatisch betrachtet handelt es sich wahrscheinlich nicht mal um einen Spazierzeitraum von 60 Minuten, sondern vielmehr um eine affektive Umschreibung von "eine Weile", "ein bisschen", "ungefähr eine Stunde". 

Vielleicht hilft Dir auch diese Herangehensweise: Stell Dir vor, Du sagst diesen Satz zu einem Autisten. Er würde (vereinfacht ausgedrückt) nur die semantische Ebene begreifen und denken, dass Du wörtlich "eine knappe Stunde" meinst und beim Spaziergang irgendwann auf die Uhr schauen und meinen: "Du sagtest, wir würden ein Stündchen spazieren gehen. In einer Minute werden wir sechzig Minuten spazieren gegangen sein, das ist dann kein Stündchen mehr." Ihm ist die pragmatische Betrachtung nur begrenzt zugänglich. 


Also nochmal in anderen Worten:
Für eine semantische Betrachtung ist der Verwendungskontext unerheblich, da sie die generelle umfassende Bedeutung des Begriffs heranzieht.
Für eine pragmatische Betrachtung ist die generelle umfassende Bedeutung unerheblich, da sie nur die spezifische Bedeutung und Konnotation im Verwendungskontext interessiert.

LG~Y

Danke, vielen Dank!

Wie wäre es denn mit Metaphern zum Beispiel ein langer Text über einen "Rettungsschirm" oder "Rettungspaket". Das meint ja kein echtes Paket, sondern finanzielle Hilfe für bestimmte Branchen zum Beispiel (ganz aktuell die Gastronomie in der Corona-Krise).
Ist dann die Pragmatik alles was über die Bedeutung von 1. wörtlich 2. finanzielle Rettung inform von Krediten, Soforthilfen etc. (Also Semantik)
hinausgeht?

Bzw. wie sieht es generell aus mit Metaphern, Metonymie und anderen Figuren bezüglich Semantik/Pragmatik?

(01.06.2020, 00:09:55)Lysann schrieb: Wie wäre es denn mit Metaphern zum Beispiel ein langer Text über einen "Rettungsschirm" oder "Rettungspaket". Das meint ja kein echtes Paket, sondern finanzielle Hilfe für bestimmte Branchen zum Beispiel (ganz aktuell die Gastronomie in der Corona-Krise).

Das ist alles Semantik.

(01.06.2020, 00:09:55)Lysann schrieb: Ist dann die Pragmatik alles was über die Bedeutung von 1. wörtlich 2. finanzielle Rettung inform von Krediten, Soforthilfen etc. (Also Semantik) hinausgeht?

Jain. Nicht "alles", aber wann immer es um die Verwendung(sbedingungen) geht. Wenn also z.B. bestimmte Branchen, Gewerkschaften, Parteien mit den unterschiedlichen Begriffen unterschiedliche Ideologien verknüpfen würden, würde das Richtung Pragmatik gehen. Ist jetzt bei dem Wortbeispiel nicht unbedingt so deutlich auszumachen.

(01.06.2020, 00:09:55)Lysann schrieb: Bzw. wie sieht es generell aus mit Metaphern, Metonymie und anderen Figuren bezüglich Semantik/Pragmatik?

Die Semantik sagt uns, was es bedeutet (wörtlich oder übertragen), die Pragmatik sagt uns, wann wir es verwenden können.

Ok, gut, meine Beispiele sind nicht so gut gewählt. Kann mir vllt jemand ein Beispiel geben?
Vllt eines, wo der Kontext bekannt ist. Das wäre super lieb.

Wieso ist das Stündchen eher pragmatisch zu betrachten und die Metapher Rettungsschirm eher semantisch?