Hallo,
ich habe eben gesehen, dass die englische Wikipedia auch einen
Artikel zum h-aspiré hat. Die Liste zeigt gut mehrere (?) hundert Wörter mit h-aspiré. Geschichtlich gab es eine andere Entwicklung als das "normale" /h/, das nun auch stumm ist. (Im Artikel stehen auch diverse grobe Anhaltspunkte, welche Wörter h-aspiré haben, auch zum Beispiel germanische Erbwörter) Von Grammatikern wurde also geschichtlich renforciert, dass das h-aspiré ausgesprochen wird, aber später wurde es wieder stumm. Es gab immer wieder ein Gefälle zwischen Hochsprache und Alltagssprache, wobei die Phänomene wie Kontraktion und Liaison in der Alltagssprache gerne lieber auch auf h-aspiré-Wörter angewandt wurden, während die Verfechter der Hochsprache das als nicht gut empfanden. Trotz dieser Normfrage ist es ja aber ein reelles Phänomen, und das bei nicht zu knappen Wörtern. Der Ursprung liegt bei einem verlustig gegangenen Laut, dessen Verhalten allerdings immer noch Auswirkung auf andere Morpheme hat. Diachron ist das sicher erklärbar, synchron ist es wahrscheinlich eleganter, von einem zugrundeliegenden Phonem auszugehen.
Hier liegt ja der "Speicher", wann das anzuwenden ist, ja deutlich im Lexem selbst, nicht im Artikelklitikum oder anderen verliaisonbaren Wörtern (eben v. a. weil es ja diverse andere Wortarten sind). Aber dem Bauchgefühl nach würde ich es auch nicht dem gesamten Wörterbucheintrag des Lexems zuordnen, weil dadurch keine funktionale Eigenschaft einhergeht. Zudem ist das Phänomen ja nicht syntaktischer Natur, sondern phonotaktischer (?). Es wäre doch sicher neurologisch eleganter bei h-aspiré-Wörtern vorne eine Nullentität anzusetzen, weil es weder das Wort abstrakt als Ganzes betrifft noch andere Stellen im Wort. (Aber vielleicht verrenne ich mich auch gerade zu sehr.) Ich glaube, ich will nur sagen, dass ich es nicht als gesamtlexembasiert und somit lexikalisiert sehe, sondern als elementbasiert und somit als zugrundeliegend phonematisch.
Aber das französische Beispiel war eher analog gemeint zu dem Thema mit dem Grönländischen /ə/. Aber weitere Meinungen würden mich da auch interessieren.
Ich habe nun ein interessantes Paper nochmal zu dem i-Problem im Gröndländischen gefunden. Das Paper "
Palatalization and "strong i" across Inuit dialects - Richard Compton, B. Elan Dresher" ist auch beigefügt oder unter dem Link einsehbar. (Mein eigenes, das ich ausgedruckt habe, finde ich nicht mehr, da stand ein bisschen mehr.)
Auch in diesem Paper wird mit dem "schwachen i/zweiten i²" als ein viertes Phonem gearbeitet, das historisch mal ein Schwa /ə/ war, aber heute keine eigene Oberflächenform hat: "Our feature matrix includes [...] a fourth vowel, schwa. While [it] is not present phonetically, there are strong arguments for its existence underlyingly because of phonological processes which it motivates." (Seite 207 meiner Fassung des Artikels aus dem Canadian Journal of Linguistics 56(2))
In dem Artikel geht es darum, welche Inuit Varietäten vier Vokale (inkl. Schwa, egal ob phonetisch hörbar oder nur zugrundeliegend) haben und die oben beschriebene Palatalisierung eines nachfolgenden /t/s verursachen. Im North Alaska Iñupiag (NAI), im Thule-Grönländisch (Polar Eskimo) und im Westgrönländischen gibt es überall synchrone, produktive Palatalisierung. (Im NAI gibt es diese Palatalisierung auch bei vielen anderen Konsonanten.) Diese Palatalisierung tritt nur nach einem "starken i" auf, also das /i/, das auch historisch ein /i/ und kein Schwa /ə/ war. In den anderen Varietäten gibt es entweder fossilierte Palatalisierung, zum Beispiel in Stämmen, oder nur teils systematische Palatalisierung, manche haben auch gar keine. Bei allen sieht man aber, dass an irgendeinem Punkt die vier Vokale mal vorhanden waren und dann alle Varietäten wohl mal irgendein Maß an Palatalisierung kannten.
Was interessant ist, ist, dass in keiner Inuit-Varietät, die historisches /i/ und /ə/ vollständig gemerget haben, der Fall auftritt, dass nach jedem Oberflächen-/i/ palatalisiert wird, obwohl das ja eigentlich erwartbar wäre, stattdessen fällt die Palatalisierung weg, wenn /i/ und /ə/ vollständig zu /i/ gemerget sind. (Das wird aber später erklärt, dass kein Kontrast mehr nötig ist, und ein paar andere Punkte gibt es.)
Die meisten Fälle, in denen palatalisiert wird, gehen in der Tat auf historische /i/s zurück. Aber, manche wenige historische /i/-Lexeme oder Morpheme palatalisieren heute nicht mehr. Nie ist es aber umgekehrt, dass ein historisches /ə/ zum /i/ werden würde und dann Palatalisierung verursacht. Allerdings klingt das für mich auf der anderen Seite eher danach, dass die Matrix eines schwachen i's durchaus produktiv ist und ein Merger nicht weiter voranschreitet. (Zwar wird oben beschrieben, dass bei einem vollständigen Merge, die Palatalisierung ausbleibt, aber ich würde mal sagen, dass wenn bereits produktive Palatalisierung vorliegt, ein Wandel von /i/+Palatalisierung hin zu /i/+ohne Palatalisierung nicht ein weiterer Merge bedeutet, sondern die produktive Ausweitung eines historischen /ə/s auf Wörter, die historisch kein Schwa hatten. Es sind auch nur ein paar Wörter, keine Menge, die auf den Verlust der Distinktion hindeuten würde.)
Es gibt auch ein paar Suffixe, die Palatalisierung bei einigen Suffixen zulassen und bei anderen nicht. -vik- bedeutet "Ort, an dem ..." (hier nur noch als -fi... sichtbar) und bei {-taaq-} "neu" erlaubt es Palatalisierung:
oqalufissaaq, aber bei {-toqaq-} nicht:
oqaluffittoqaq. Für jeweils "neue und alte Kirche". Auch "savik, pusi-, kini- und kii" (Messer, liegen, tränken, Biss) verhalten sich so.
Im Paper gibt es auch das Minimalpaar "isiq-" "eintreten" (Proto-Eskimo *itə
ʁ-) und "isiq-" "geräuchtert sein" (Proto-Eskimo *əðir
ʁ-). Es gibt sicher noch mehr Minimalpaare, das wurde nur eben genannt.
Theoretisch ließe sich jeder phonetische Output des zugrundeliegenden Schwas durch Regeln formulieren. In keinem der Fälle jedoch hätte das "Phonem" einen Lautcharakter, der nicht dem anderer Phoneme gleicht. Das /ə/ kann dann zu [i], [a], [u] oder ø werden, in jeweils ableitbaren, morphophonologischen Fällen.
In dem Paper nutzen sie nur die Bezeichnung "
underlying phoneme" entgegen den "
overt phonemes". Das wirkt allerdings eher wie eine ad-hoc-Beschreibung für das Grönländische, nicht wie eine eigene Kategorie. Kennt ihr noch andere Beispiele vielleicht, die hierzu passen könnten?
Zitat:Handelt es sich um das, was auch Leere Elemente (empty elements) genannt wird?
Das habe ich jetzt nur bei Syntax gefunden, aber ich denke, das passt auch hierzu sehr gut, ja. Die Funktion des Phonems /ə/ ist ja da, nur wird es zur Oberfläche hin ausgetauscht. Es ist zwar nicht leer, wie der Begriff nahelegt, deshalb noch etwas holprig der Begriff, aber das Verhältnis der Diskrepanz von "voller Funktion" versus "keine lautliche Autonomie an der Oberfläche" passt.