Hallo,
ich frage mich gerade, ob jemals schon einmal konkrete Versuche unternommen wurden, den Klimawandel und seine Folgen in die Sprachbedrohungsszenarien mit einzubauen. Die Mahnung, dass alle zwei Wochen der letzte Sprecher einer Sprache stirbt, habe ich so verstanden, dass dies eine Durchschnittshochrechnung ist aus der Zahl der jetzigen Sprachen und der Prognose, dass im Jahre 2100 nur noch 50% (die 'großzügige' Schätzung) der heutigen Sprachen gesprochen werden - also: 7.000 / 2 = 3.500, 3.500 / 100 = 35 Sprachen pro Jahr (von 2000 bis 2100 gerechnet), die sterben, ergo: Alle 10,5 Tage stirbt statistisch eine Sprache. Mit einer geschätzten Anzahl von 6.500 Sprachen aktuell kommt man der 14 Tage Zahl näher. Das heißt, im genau diesem Moment sterben Sprachen nach diesem Szenario nicht im 14-Tage-Tempo, aber im statistischen Durchschnitt bi 2100 schon, also werden 2090 wahrscheinlich mehrere Sprachen pro Woche sterben. Habe ich das so richtig verstanden, dass diese geflügelte Zahl durch diese Rechnung kommt?
Worauf ich hinaus will, ist, dass diese Szenarien ja aus Einzelsprachszenarien und statistischen Modellen heraus resultieren. Aber wurde da überhaupt das Klima mit einbezogen? Denn wenn man sich die bisherigen Klimaszenarien ansieht, kann man bis 2100 von einer Erwärmung zwischen 2 und 4 Grad Celsius ausgehen, wenn wirklich alle Staaten mitmachen und die Emissionen auf ein historisches Tief hin drosseln. Realistisch, dadurch leider auch pessimistisch, sind bestimmt von mindestens 4 Grad Celsius auszugehen, was weitreichende Folgen hätte.
Auf dieser Seite (
http://sealevel.climatecentral.org) kann man interessante Pegelstandsszenarien auf der ganzen Welt durchspielen. Für Nordwestdeutschland ergäbe sich 2100 die Küstenlinie aus dem Anhang bei den wahrscheinlich zu erwartenden Pegelständen bei 4°C Klimaerwärmung. Dass dabei zum Beispiel fast das gesamte Nord- und Saterfriesische Sprachgebiet überschwemmt sind und auch noch große Teile von plattdeutschen Hotspots ist sehr deutlich. Besonders tiefliegende Küstenregionen wie China, Ozeanien etc. werden Milliarden von Flüchtlingen zu erwarten haben.
Ist in den Sprachszenarien denn irgendwie eingerechnet, wie sich Sprachen bei einer Flüchtlingssituation verhalten? Als damals zum Beispiel die friesische Insel Wangerooge wegen einer Sturmflut langfristig evakuiert werden musste, wurde die Sprecherschaft geteilt und das Wangerooger Friesisch starb sehr schnell 1950 aus.
Wenn nun weltweit die Wasserpegel steigen und immer mehr Menschen zur Flucht gezwungen werden und ganze Sprachgebiete überschwemmt sind, mit welcher Sprachenzahl müssten wir dann 2100 eigentlich realistischer rechnen? Gibt es dazu schon irgendwelchen wissenschaftlichen Arbeiten?
Viele Grüße,
Kevin