(04.05.2012, 11:56:07)janwo schrieb: (03.05.2012, 00:22:01)Sebastian schrieb: Kapitel 131: Numeral Bases (und die zugehörige Karte) im WALS passt zwar nicht direkt zur gerade geführten Diskussion, ist aber trotzdem interessant. :P
Das hat was von "ceterum censeo WALSem esse legendam."
Och, das kann man prinzipiell doch ruhig machen ;) Wenn von Numeralsystemen die Rede ist, kommt relativ schnell die Sache mit den Basen in's Spiel. Das finde ich etwas ungünstig, weil damit gleich eine Festlegung auf einen bestimmten Subtyp statt findet (Numeralsysteme, die überhaupt Multiplikation bzw. Basen haben) und es noch weitere Möglichkeiten zur Klassifizierung solcher Systeme gibt; Dezimalsystem ist auch nicht gleich Dezimalsystem
Dann zu den Fragen von Hutschi:
Ich denke, das, was du alles aufzählst, kann man besser unter der Kategorie der "Quan(tifika)toren" fassen (siehe z.B. Gil (2001); den Verweis habe ich aus der schon erwähnten Magisterarbeit von Hanke (2005)). Quantifikatoren sind zum Beispiel 'viele', 'manche', 'einige', 'alle', 'keiner', 'fünfzehn' usw. Vielleicht kann man als (etwas schwaimmige) Arbeitsdefinition sagen, dass darunter alles fällt, was bestimmte oder unbestimmte Mengen angibt? Numeralia sind dann dadurch gekennzeichnet, dass sie eben konkrete Mengen angeben. In Systemen mit einer sehr geringen (also niedrigen einstelligen) Anzahl an Numeralia folgt oft 'viele', sodass man einen Übergang zwischen beidem sehr gut sehen kann.
In der Literatur (etwa bei Greenberg 1978, 2002 oder Stampe 1976; Seitenzahlen muss ich nachreichen) finden sich übrigens auch Hinweise zu Bezugnahmen auf verwandte Kategorien wie die der Numeralklassifikatoren oder des Numerus.
Um in die Fragen, was nun als Numerale gibt und was das Numeralsystem einer Sprache konstituiert etrwas Klarheit zubekommen, sind die Unterscheidungen von Greenberg (1978) vielleicht ganz brauchbar. Er untersucht erstmal nur "Kardinalzahlen", also natürliche Zahlen, diezum zählen verwendet werden. Auch in diesem Bereich kann zwischen Form und Bedeutung unterscheiden werden; in diesem Fall zwischen einer abstrakten Zahl (etwa 5) und einem konkreten Ausdruck ("numeral expression"), der diese versprachlicht (z.B. 'fünf' oder 'five', aber auch 'Wurzel aus 25'). Eine Untermenge dieser möglichen numeralen Ausrücke einer Sprache sind nun die Numeralia, die zum zählen verwendet, also quasi durch die Operation "zählen" ausgewählt werden ('numerals proper'). (ich hoffe, das ist so einigermaßen verständlich..
)
Innerhalb dieses Rahmens kann man also nun sagen, dass z.B. 'duzend' zwar ein möglicher numeraler Ausdruck der deutschen Sprache, aber kein 'numeral proper' und somit kein Teil des Numeralsystems ist, weil es nicht zum zählen verwendet wird (also im Prinzip das, was du auch schon sagtest).
Ob Ordinalzahlen (und alle anderen) in jeder Sprache immer von den Kardinalzahlen abgeleitet sind, kann ich nicht sagen. Soweit ich das überblicke wird in der (linguistischen) Literatur aber schon davon ausgegangen, dass die Kardinalzahlen auf die eine oder andere Weise zugrunde liegen (bei Greenberg z.B. durch den zentralen Begriff der Markiertheit). Entsprechend findet man vorallem was zu diesen 'Zählzahlen', am Rande mal was zu Ordinalzahlen, und zu anderen Begriffen (Distributivzahlen, Multiplikativa, Iterativa etc.) quasi nichts. Dass alle anderen Typen als abgeleitet aufgefasst werden, kann man evtl. so begründet, dass sie jeweils noch weitere, über die eigentliche numerale Bedeutung hinausgehende semantische Inhalte denotieren.
Zu den etymologischen Fragen kann ich nicht so viel sagen. Allerdings gibt es mit Gvozdanović (1992) einen Sammelband zu Numeralia in den indo-europäischen Sprachen, der u.a. einen recht langen Artikel zu den Numeralia im Germanischen enthält; vielleicht wird man da fündig.
Gil, David. 2001. Quantifiers: 92. In Martin Haspelmath, Ekkehard König, Wulf Oesterreicher & Wolfgang Raible (eds.), Language Typology and Language Universals. An International Handbook (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft), 1274–1295. Berlin + New York: Mouton DeGruyter.
Gvozdanović, Jadranka (Hrsg.) 1992. Indo-european Numerals. Berlin: De Gruyter.
Greenberg, Joseph H. 1978. Generalizations about Numeral Systems. In Joseph H. Greenberg (ed.), Universals of Human Language, 249–295: Stanford University Press.
Greenberg, Joseph H. 2000. Numeral: 75. In Geert Booij, Lehmann, Christian & Joachim Mugdan (eds.), Morphology. An International Handbook on Inflection and Word-
Stampe, David. 1976. Cardinal Number Systems. In Slikoko S. a. W. C. A. Mufwene & Sanford B. Steever (eds.), Papers from the twelfth regional meeting. Chicago Linguistic Society, 594–609.