Eine Parallele zu dieser nichtpronominalen Anrede in der dritten Person finden wir in den Wildwest-Geschichten von Karl May. Vor allem Winnetou fällt ja immer wieder dadurch auf, dass er zum Ich-Erzähler "mein weißer Bruder" usw. statt "du" sagt. Inwieweit das literarische Freiheit des Dichters ist oder einen Sprachgebrauch im z.B. Apache reflektiert, vermag ich auf die Schnelle nicht zu sagen.
Jemanden
erzen (mit langem /e:/, nicht wie
Erz) ist ja im Grunde nur die Singular-Entsprechung zum höflichen
Sie, das ja formal ganz deutlich eine 3.PL ist. Die Anrede in der dritten Person ist stets distanzierend, entweder als höfliche Anrede nach weit oben (vgl. aber im Gegensatz dazu die geradezu intime Anrede Gottes mit 2.SG im Vaterunser) oder als despektierliche Anrede von weit oben herab "
Er denkt ja schon wieder!" (siehe
Feuerzangenbowle; mit interessantem Switching der Pronomina). Der Plural beinhaltet dabei neben der Distanzierung noch eine Augmentierung: man macht den Angeredeten quasi "größer".
Was @
Kevin oben schon angedeutet hat, trifft auf viele Sprachen des Ost- und Südostasiatischen Raums, aber auch im Arabischen Raum zu: man kann Namen und/oder Titel als Pronomina-Ersatz für alle drei Personen verwenden. Mein klassisches Lieblingsbeispiel dazu kommt aus der Bahasa Indonesia:
Ali sudah membeli buku.
Ali schon kaufen Buch
Ibu sudah membeli buku.
Mutter schon kaufen Buch
Beide Sätze lassen sich ohne Kontext nicht zweifelsfrei übersetzen, weil man nicht weiß, ob
Ali bzw.
Ibu Ersatzformen sind.
Standardinterpretation:
'Ali hat das Buch gekauft.' / 'Mutter hat das Buch gekauft'
Pronominalersatz:
'Ich habe das Buch gekauft' (wenn Ali bzw. die Mutter von sich selbst spricht)
'Du hast/Sie haben das Buch gekauft' (wenn jemand Ali bzw. eine Frau -nicht notwendigerweise seine/jemandes/eine Mutter!- anspricht)
Ibu ist eine gängige höfliche Anredeform für weibliche Personen, die entweder älter als man selbst sind oder zumindest in einem Alter sind, in dem sie Kinder haben könnten. Das Ganze funktioniert genauso mit
Bapak/Pak ('Vater'), oder auch mit einer Konstruktion wie
Pak/Ibu Hasan ('Hasans Vater/Mutter'; hier aber stets nur die tatsächlichen Eltern von H.).