Hallo aarauerin,
deine Beschreibungen gehen etwas durcheinander und vermischen unterschiedliche Konzepte in der Semiotik bzw. Semantik.
Da du schreibst:
(03.11.2014, 01:27:03)aarauerin schrieb: Das eine stammt von Ogden Richards und erweitert das klassische Modell von Saussure um eine Dimension. Es kommt sozusagen ein Referent hinzu.
liest es sich ein wenig so, als stünde die Zeichendefinition nach Saussure am Anfang bzw. ist DAS klassische Modell. Das ist ganz und gar nicht so, auch wenn dieses in Einführungen in die Thematik oft so behandelt wird oder einfach der Kürze der Zeit geschuldet ist.
Wichtig hier ist jedenfalls, dass die Ausführungen von Ogden und Richards keine Erweiterung des Saussureschen Modells darstellen, sondern einen ganz anderen Ausgangspunkt wählen, der einen allgemeinen Zeichenbegriff und nicht allein den rein sprachlichen bei Saussure zugrunde legen. Tatsächlich gab es die Aufassung von so einem Zeichendreieck bzw. einer dreiteiligen Beziehung schon bei Aristoteles und anderen frühen Semiotikern.
Dementsprechend ist es nicht unbedingt sinnvoll, die gleichen Begriffe in unterschiedlichen Zeichenmodellen wiederzufinden bzw. nebeneinander zu stellen. Das kommt sehr oft gar nicht aus bzw. bringt Verwirrung.
(03.11.2014, 01:27:03)aarauerin schrieb: Das Wort (hier Symbol, bei Saussure signifiant) "Vogel" ist an sich erst einmal leer
Ein Wort kann mit Saussure als ein sprachliches Zeichen bezeichnet werden, das dann aber immer aus den beiden Seiten Signifiant und Signifié besteht. Deine Beschreibung als signifiant ist hier also nicht ausreichend. Bei Ogden und Richards kann das Symbol aber ein Wort sein, dieser Teil ist richtig. (Was aber nicht bedeutet, dass Symbole nicht auch aus anderen Zeichen bestehen können.)
Du hast dann auch richtig erkannt, dass zwischen dem Wort "Vogel" und dem, was es bezeichnet, nämlich dem tatsächlichen Vogel in der außersprachlichen Wirklichkeit, keine unmittelbare Beziehung besteht, sondern dass diese erst auf der Ebene des Thought of Reference erkannt werden muss, also sozusagen über einen Umweg. Wenn das Wort "Vogel" also auf einen tatsächlichen Vogel, das Objekt, verweist, existiert trotzdem keine direkte Beziehung zwischen Wort und Objekt, sondern diese Beziehung kann erst durch einen Gedanken hergestellt werden.
Im Gegensatz zu Saussure bauen Ogden und Richards also das Objekt, das durch das Symbol bezeichnet wird, mit in das Zeichenmodell ein. Diese Elemente in der außersprachlichen Wirklichkeit - den tatsächlichen Vogel, den wir mit dem Wort bezeichnen, spielen bei Saussures Zeichenmodell keine Rolle bzw. werden dort nicht miteinbezogen. Zwar bezeichnet das sprachliche Zeichen nach Saussure ein solches Objekt, es ist aber nicht Teil des Zeichens. Diese Dimension des Objektes ist vor allem auch im Zeichenmodell nach Peirce wiederzufinden und veranlasste grundsätzlich viele andere Semiotiker (z. B. auch Morris, dazu, von einer dreiteiligen Relation in Form eines Dreiecks auszugehen.
(03.11.2014, 01:27:03)aarauerin schrieb: Nun zum zweiten Modell, das mir Schwierigkeiten bereitet [...] Ich verstehe leider das "Significatio" nicht. :( Was passiert auf dieser Ebene? Sie ist einzelsprachlich, aber das "image accoustique" kommt doch erst bei "vox" ins Spiel?
Das Modell von Raible geht von einem anderen Ausgangspunkt aus, nämlich davon, was geschieht, wenn wir eine Sache mit einem Zeichen bezeichnen. Er stellt also nicht das (sprachliche) Zeichen an den Anfang seiner Überlegungen, sondern den Prozess des Äußerns. Eine relativ gute Beschreibung von Raible selbst findet sich wie folgt (gekürzt, Volltext unter dem angegebenen Link):
Zitat:"Wenn wir etwas bezeichnen wollen, z.B. etwas Konkretes, eine ‘res’, so müssen wir sie erst in einem Akt der Apprehension wahrnehmen. Wir bilden uns daher in einer prima impositio oder prima articulatio einen conceptus, also eine ‘Vorstellung’ von der Sache. [...]
Etwas ganz Anderes als dieses erste Modell, die erste impositio, ist das, was wir mit der Versprachlichung als secunda impositio oder secunda articulatio vornehmen. Wir bilden aus dem ersten Modell, dem der Vorstellung, ein zweites Modell, die sprachliche Bedeutung, die significatio. Wir wählen dabei nur bestimmte Merkmale aus der Vorstellung aus. Wir fügen aber gleichzeitig noch etwas hinzu [...]: Wir kleiden diese sprachliche Bedeutung in einen modus significandi, eine bestimmte Art des Bedeutens – wir geben ihnen nämlich eine grammatische Form. Beispielsweise kleiden wir sie in die Form eines Nomen, eines Adjektivs, einer Konjunktion, eines Verbs."
Raible, Wolfgang (2000): Probleme der Prototypensemantik. Online:
http://latina.phil2.uni-freiburg.de/raib...mantik.pdf, Seite 5-6.
Wenn wir also bei einem Spaziergang etwas auf einem Baum sitzen sehen und dies unserem Gesprächspartner mitteilen wollen, passiert folgendes:
Wir nehmen die Sache (res), den Vogel, wahr und erkennen in ihm unsere Vorstellung von einem Vogel (Akt der Apprehension). Dieses Wahrnehmen und Erkennen würde zum Beispiel nicht oder nur schwer funktionieren, wenn dort etwas im Baum säße, was wir mit unserem allgemeinen Wissen über DInge im Baum nicht erkennen (und später auch nicht bezeichnen) könnten. Wenn wir aber den Vogel erkennen, ist die erste impositio gelungen.
Um jetzt unserem Gesprächspartner auch noch mitteilen zu können, dass und was wir dort gesehen haben, müssen wir unsere Vorstellung von dem Vogel versprachlichen, das Objekt quasi mit einem Zeichen verbinden. Das ist die significatio, nämlich das Wissen darüber, dass ich das Objekt im Baum aufgrund seiner Merkmale und Existenzweisen als Vogel bezeichne. Wenn wir diese Bedeutung dann in einer bestimmten grammatischen Form äußern, zum Beispiel als "Da ist ein Vogel!", dann kommt es auch zur Vox bzw. Dictio, also zu tatsächlichen Äußerung (was bei Saussure dann der Lautkette entspricht).
Kurz gesagt: Significatio ist noch nicht die Äußerung des Zeichens, sondern lediglich die Zuweisung des sprachlichen Zeichens zu unsere Vorstellung. Man könnte einfach sagen: Achja, das Ding im Baum da bezeichnet man als Vogel. Das weiß ich aufgrund meines Wortschatzes, den ich für meine Muttersprache gelernt habe.
Deswegen ist dieser Vorgang auch ein einzelsprachlicher, denn in einer anderen Sprache bezeichnet man das Objekt nicht als "Vogel", sondern eben als "bird" oder "oiseau", zum Beispiel.