Servus, Versus!
(0) Selig sind, die da hungert nach Gerechtigkeit (und nach einer Untersuchung von "die da")
In den folgenden fünf Abschnitten geht es um Ausdrücke wie "die da, was da", ihre Funktion und Bedeutung soll untersucht werden. Speziell geht es um Luthers Übersetzung einer Bergpredigtpassage ins Deutsche.
Hier zunächst die einschlägige Stelle als Vulgatatext (a) , dann eine konventionelle Übersetzung(b) , dann Luthers Version (c) des lateinischen Textes.
Luther predigt auf Kanzel
http://tinyurl.com/zvkpsl6
(a)
Beati pauperes spiritu,
quoniam ipsorum est regnum caelorum;
beati mites, quoniam ipsi possidebunt terram;
beati qui lugent, quoniam ipsi consolabuntur;
beati qui esuriunt et sitiunt iustitiam
quoniam ipsi saturabuntur.
(b)
Selig sind die Armen im Geiste,
denn ihrer ist das Reich der Himmel!
Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Land besitzen!
Selig sind, die trauern, denn sie werden getröstet werden. Selig sind,
die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit,
denn sie werden gesättigt werden.
Matthaeus 5 Biblia Sacra Vulgata (VULGATE)
(c)
(a) Selig sind /
die da geistlich arm sind / Denn das Himelreich ist jr.
(b) Selig sind /
die da leide tragen / Denn sie sollen getröstet werden.
(c) Selig sind
die da hungert vnd dürstet nach der Gerechtigkeit / Denn sie sollen sat werden.
Luther-Bibel
http://preview.tinyurl.com/zsw49qx
Bergpredigt Jesu, Bild Sixtinische Kapelle
http://tinyurl.com/zwr4qnj
Sammlung: "die-da-Verknüpfungen" in Luthers Bibelübersetzung
http://tinyurl.com/gm3nl7p
1. Partikel und Partikeltyp
Ein Wort wie "da" ist weder deklinierbar noch konjugierbar, also kein Nomen, sondern eine
Partikel. Verwendet man „Partikel“ konventionell als Oberbegriff für die nichtflektierbaren Wortarten, so gilt:
Eine Klassifizierung von“da“ könnte die Partikel-Menge Präposition, Konjunktion (koordinierende, subordinierende), Adverb, Interjektion und noch einiges heranziehen
Nun, unser "da" regiert keinen Kasus, im Gegensatz zu Präpositionen wie z.B.
nach dem Essen, hinter dem Berg (zweimal ein Dativ). „Da“ ist also keine Präposition. Auch wenn es eine lokale Orientierung bietet, wie es viele Präpositionen tun.
„Da“ verbindet normalerweise keine Satzteile oder Teilsätze, ist also keine Konjunktion oder Subjunktion (Aber Vorsicht: "Da ich ein Kind war...", „Da ich groß bin, stoße ich an die Decke").
Es lässt sich nicht steigern/komparieren. Nur wenige Adverbien haben komparativähnliche Formen: bald … eher, gern …lieber … am liebsten.
Also ist alles in allem unser "da" am ehesten ein
Adverb.
2. Der Blick ins Lexikon "dwds": Grundbedeutung und Stilebene der Verbindung "Relativpronomen + da"
dwds-Auskunft: Ein Adverb, und - in der Grundfunktion - den näheren Bereich des Sprechers bezeichnend, auch eine besondere Verwendung aufweisend: "da", lokal - eher archaisch-altertümelnd in der Stilebene - in der Kombination mit speziellen Pronomen.
altertümelnd nach Rel. pron. und gewissen Indef.pron.
was da kreucht und fleucht
Meister Martin Opitz ... der da schreibt – Weiskopf Verteidigung 8,450
biblisch
wer da hat, dem wird gegeben
http://www.dwds.de/?qu=da
3. Abtönungspartikel und Fokussierungspartikel
Versuchen wir ins Detail der Partikel-Semantik zu leuchten, auch über den vorliegenden Fall hinaus.
Wo gehst du denn hin? Da liegt doch das Buch.
Das „denn“ wird hier nicht unmittelbar kausal eingesetzt. Es zielt vielmehr darauf ab, dass der Gesprächspartner etwas plausibel macht und es begründet, die Konnotation eines Vorwurfes liegt nahe. Das „da“ signalisiert, dass das Gesuchte im Nahbereich liegt, so dass das Gehen eher unsinnig erscheint.
Das „denn“ wird als Abtönungspartikel bezeichnet. Es ähnelt etwa in seiner Verwendungsweise dem „bloß“ in „Was tust du denn bloß?“.
Das „da“ kann als Fokussierungspartikel gelten, "da" wird in der mündlichen Rede wohl betont, hat seine volle Funktion, wenn es hinweist auf einen speziellen, in der Situation relevanten Raumbereich. Dieser ist für Sprecher und Hörer zugänglich und eben der "richtige". Natürlich kann es sich auch einfach auf eine "vorliegende" Textstelle beziehen.
"Da" liegt doch ein finites Verb im Luthers Satz vor, eines am Ende des Relativsatzes.
Auf jeden Fall eine deiktische Funktion, ausgeprägt.
Anders das folgende „da“:
Wer hat da was gesagt? Das "da" ist semantisch blasser geworden und hat weitgehend seine Raumorierungsfähigkeit verloren. Eine Abtönungspartikel.
4. Relativpronomen und Demonstrativpronomen, Deixis
Man vergleiche die beiden folgenden Zeilen und deren Sätze.
(a) Was sind denn das für Blödmänner.
Die stehen da rum. Die helfen den Flüchtlingen nicht.
(b) Was sind denn das für Blödmänner,
die da rumstehen, die den Flüchtlingen nicht helfen.
In (a) und (b) findet sich "die" in leicht unterschiedlichen Strukturen. In (a) steht das finite Verb in Zweitstellung:
Die
stehen da rum. Die
helfen nicht In (b) findet sich das finite Verb in Endstellung:
die da
rumstehen, die nicht
helfen.
In (a) wird traditionellerweise das Lexem "die" als Demonstrativpronomen bezeichnet, Artikel ist wohl weniger passend. In (b) als Relativpronomen. Der Unterschied ist wohl vor allem syntaktischer Natur. Das Demonstrativum ist nicht subordinierend, versetzt das finite Verb nicht in Endstellung. Aktiviert ist die Zeigehandlung, oft durchaus die Körper- und Zeigefingersprache des Redners. Kurz die
Deixis.
Auch eine gewisse semantische Verblassung ist in (b) feststellbar. Das "die" ist im Zeigegestus (der Deixis) des Sprechers weniger integriert als in (a) und daher offener. Dass kein Artikel vorliegt, lässt sich etwa grammatikalisch an einem Dativbeispiel festmachen:
Die stehen da rum. Denen (nicht: den) sollte man die Hammelbeine langziehen.
Offensichtlich wählt man hier einen besonderen Dativ.
5. Die Lutherwendung
5.1 Basics
(c) Selig sind die da hungert vnd dürstet nach der Gerechtigkeit / Denn sie sollen sat werden
In heutigem Deutsch, das den Luthertouch vorsichtig modernisieren möchte, könnte der Satz wohl so lauten:
(c) Selig sind die, die es (da) nach der Gerechtigkeit hungert und dürstet.
Die finiten Verben "hungert", "dürstet" stehen in Endstellung. Das erste „die“ wirkt als Demonstrativpronomen („sind diese“), das zweite „die“ wirkt als Relativpronomen. Es nimmt eine vorausliegende Information auf und setzt sie als Platzhalter im neuen Satz, einem Relativsatz.
Daraus lässt sich der vorsichtige Schluss ziehen. Im Lutherdeutsch von (c) mit seinem Verzicht auf die Endstellung des finiten Verbs und seinem Verzicht auf ein „die.., die/welche“ und einer Alleinstellung des „die“ ist der konventionelle Relativsatz und seine Struktur eher abgewählt, eine demonstrative Struktur hat den Vorrang.
Gleichzeitig liegt ein gewisser Sinnakzent auf dem nachklappenden "Gerechtigkeit".
Das „die“ ist ein Akkusativ, abhängig von der Wendung „(es) dürstet jemanden“, das „es“ ist elliptisch/ausgespart. Das Präpositionalobjekt „nach Gerechtigkeit“ ist an das Satzende gerückt, es ist ausgeklammert – egal, ob man hier einen Relativsatz oder einen Aussagesatz annehmen würde.
Luthers lateinische Vulgata-Vorlage setzt ein Relativpronomen („qui“). "Qui" lässt sich aber mit einigem guten Willen als „relativer Satzanschluss“ interpretieren und kann dann demonstrativ übersetzt werden, „selig sind sie…. Die(se) dürsten nach der Gerechtigkeit …. denn sie werden gesättigt werden“.
Man erkennt, die Luther-Partikel „da“ wird interessant, sie ist offensichtlich für die Übersetzung nicht unbedingt notwendig. Mögliche additive Effekte? Befragen wir die Semantik des „da“:
5.2 Die Deixis von "da"
In einer Rede geht es darum, seine Adressaten unmittelbar anzusprechen, Lokaladverbien wie „hier“ und „da“ bezeichnen Elemente und Bereiche in einem Orientierungssystem und einem Orientierungsraum, das Sprecher und Hörer gemeinsam überblicken. Insofern wird hier eine Menge von Adressaten im Nahbereich angesprochen. Diese ist ausgezeichnet durch einen besonderen Wunsch, dem nach moralischen Werten, dem nach Gerechtigkeit. Es dürfte nun jeder Adressat diesen Wunsch verspüren, heftiger oder weniger heftig.
Die beiden Verben „hungern“ und „dürsten“ arbeiten metaphorisch mit einem Quellbereich absolut heftigen Mangels und dessen Überwindung: Essen und Trinken, feste und flüssige Nahrung sind überlebenswichtig. Gerechtigkeit ist ein unbedingt wichtiges Bedürfnis. Das Bedürfnis ist über das verdeckte "es" - auch wenn man vielleicht ein expletives "es" ansetzen könnte - doch als ein fast eigenständiges Bedürfnis, als ein Überlebenstrieb in der biologisch-mentalen Ausstattung des Menschen anskizziert. Das nachklappende "nach Gerechtigkeit" mag eine Nebensache meinen, mindestens genauso plausibel: Die Ausklammerung markiert ausdrücklich ein Grundbedürfnis aller Menschen.
Mit den beiden Verben und ihrem Wortfeld kommt also ein universales Bedürfnis des Menschen ins rhetorische Kommunikationsspiel: Hunger und Durst kennen alle Menschen. Speise und Trank ist allen Menschen ein notwendiges Überlebensmittel. Gerechtigkeitswünsche verbinden alle Menschen miteinander, „Fairness“ wird von allen Menschen eingefordert, aktiv und passiv, egal, ob sie geleistet wird oder nicht.
Mit dieser Universalisierung ist aber eben nicht nur der unmittelbare Adressatenkreis der Jesuspredigt erfasst. Vielmehr geht es – in der medialen Verbreitung der Lutherschrift – um eine Botschaft an das Bewusstsein aller Leser. So lässt sich das „die da hungert“ lesen als ein „wo immer es die Menschen hungert und dürstet nach Gerechtigkeit“. Ferne Zeiten und Räume sind damit dem Nahhorizont der Jesusrede angelagert.
5.3 Sozial-Revolutionäres
Übrigens hat die Raumdimension noch einen anderen interessanten Aspekt: In der Bergpredigt werden zwei lokale Bereiche neben dem Bereich avisiert, an dem man die Hörerschaft sich denken kann: Das „regnum caelorum“, traditonell „das Himmelreich“. Und die „terra“, traditionell das „mundane“/weltliche „Land“.
So gesehen kann das „da“ eben auch auf den unmittelbaren Nahhorizont des Berges und seiner dort sitzenden Hörer bezogen werden, aber auch darüber hinaus auf das weit gefächerte Diesseits der „Terra“ und auf das „Jenseits“ der „caelorum“. Eine „Nahverkündung“ also, die eine konkrete Glücksvorstellung im Diesseits gelagert verspricht, eine eher theologisch-futurische Glücksvorstellung, die auf ein Leben nach dem Tode hinweisen könnte. Aber auch eine Glücksvorstellung, welche ein glückliches Diesseits als vom Himmel und dem himmlischen Vater gewollt installiert.
https://de.wikipedia.org/wiki/Seligpreis...n_Mt_5.2C3
Gut möglich, dass hier ein rhetorischer Schub seine Wirkung gewinnt, egal ob von Luther gewollt oder nicht: Gerechtigkeit ist ein im theonomen Horizont und im von Gott geschaffenen Menschen eingepflanztes Prinzip. Wer sich darauf beruft, kann die Besitzverhältnisse von Kirche und Adel der Lutherzeit auf- und angreifen. John Balls rhetorischer Fragesatz mit einem interessanten "denn da" machte im Bauernkrieg nach einigen Umwegen wohl durchaus Furore:
„Als Adam grub und Eva spann, wo war
denn da der Edelmann?“
[Bild:
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/c...ebel-1.jpg]
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