Literatur zu selbständigen Wenn-Sätzen

Ich wende mich an Euch in der Hoffnung auf ein paar Literaturtipps. Meine Diss ist fertig (ich muss sie nochmal überarbeiten) und ich habe eine neue Stelle angenommen mit dem Ziel Habil. Ich befinde mich gerade in der Findungsphase für ein Thema, das mich auch noch die nächsten Jahre über interessieren wird.

Mein aktueller Favorit sind selbstständige Wenn-Sätze. Hier ein Beispiel:

[Bild: https://img.buzzfeed.com/buzzfeed-static...ality=auto]

Dieser Satztyp tritt scheinbar hauptsächlich in Memes auf. Hier scheint er meist einen zynischen oder satirischen Kommentar zu einem mehr oder weniger lustigen Bild darzustellen. Ich habe ihn aber auch schon (mit leicht veränderter Illokution) in Überschriften und in gesprochener Sprache beobachtet. Doch auch hier erfüllt er eine Kommentarfunktion.

Meiner Meinung nach ist dieser Satztyp von ähnlichen Fällen zu unterscheiden, wie etwa Dieser-Moment-Memes:

[Bild: https://www.bildmachen.net/wp-content/up...%A4llt.jpg]

Letztere haben klar eine temporale Konnotation, was auch durch die NP angezeigt wird, unter der der Wenn-Satz eingebettet ist. Die Wenn-Sätze, um die es mir geht sind hingegen nicht eingebettet, zumindest nicht overt. Und es scheint mir eher in Richtung konditionale Lesart zu gehen. Genaueres kann ich dazu aber noch nicht sagen. Hierzu müsste ich mir erst einmal ein geeignetes Korpus erstellen.

Mein Forschungsinteresse erstreckt sich auf die Frage, wie diese Fälle von Wenn-Sätzen lizenziert werden, da es sich nicht um einen regulären Hauptsatz handelt. Infrage käme hierbei ein Ellipseansatz, ein Insubordinationsszenario, eine pragmatische Lizenzierung, oder oder oder.

Hätte jemand von Euch ein paar Literaturtipps für mich, was diesen Satztyp im Besonderen, Memes oder verwandte internetlinguistische Phänomene angeht? Es würden mich auch Arbeiten zur Bild-Text-Beziehung interessieren.

Viele Grüße
PeterSilie

Vielleicht ist in dem Kapitel zu Memes im kürzlich erschienenen Internetlinguistik von Konstanze Marx ein Ausgangspunkt zu finden? Leider kann ich von zu Hause aus nicht sehen, ob das tatsächlich der Fall ist. Außerdem fällt mir noch Dancygier & Vandelanotte (2017) ein.

Vielen Dank für Deine Rückmeldung! Ich hatte mir schon beide Literaturen beschafft und ich denke auch, dass Dancygiers & Vandelanottes Aufsatz sehr aufschlussreich sein dürfte (ich habe ihn bisher noch nicht gelesen).

"Hätte jemand von Euch ein paar Literaturtipps für mich, was diesen Satztyp im Besonderen, Memes oder verwandte internetlinguistische Phänomene angeht? Es würden mich auch Arbeiten zur Bild-Text-Beziehung interessieren."

Meinst du auch Literatur zu Memes, in denen es nicht um wenn-Sätze geht?
Falls ja: Lars Bülow, Marie-Luis Merten und Michael Johann (2018): Internet-Memes als Zugang zu multimodalen Konstruktionen. https://doi.org/10.1515/zfal-2018-0015. Bülow und Merten haben auch noch mehr dazu veröffentlicht.
Auch oft genannt: Shifman (2014): Meme. Kunst, Kultur und Politik im digitalen Zeitalter.

Vielen Dank, reger! Bülow hate ich auch schon auf dem Schirm. Shifman hatte ich mal bei der Literaturrecherche gesehen, aber nicht wirklich beachtet. Sobald die Bib wieder auf hat, gucke ich da mal rein.

(05.05.2020, 18:22:45)PeterSilie schrieb: Mein Forschungsinteresse erstreckt sich auf die Frage, wie diese Fälle von Wenn-Sätzen lizenziert werden, da es sich nicht um einen regulären Hauptsatz handelt. Infrage käme hierbei ein Ellipseansatz, ein Insubordinationsszenario, eine pragmatische Lizenzierung, oder oder oder.

Wenn du dazu schon etwas veröffentlicht hast, interessiert mich ein Hinweis.    Diese wenn-Sätze könnten sich ähnlich wie Inf+zu-Gruppen verhalten: Sie eignen sich z.B. gut als Überschriften.

Veröffentlicht habe ich dazu noch nichts. Ich stehe derzeit noch am Anfang, genauer vor dem Anfang. Deswegen auch meine Frage nach der Literatur.

Über Überschriften können wir uns aber gerne mal unterhalten. Ich bereite gerade zusammen mit meiner Chefin einen Aufsatz über W-Überschriften vor, also so etwas wie

Wieso Aluhüte immer Recht haben.

Ich werde in meinem Teil näher auf die historische Entwicklung von W-Üerschriften eingehen und auch zeigen, wie sie sich in Abhängigkeit von ihrer Textposition funktional entwickelt haben. Hierzu habe ich bereits ein kleines Korpus erstellt (noch nicht voll durchannotiert), bei dem ich eigentlich der Frage nachgehen will, ob diese Art von Sätzen (also selbständige finite VL-Sätze) ein Fall von Insubordination sind.

Was machst Du denn im Bereich von Überschriften? Und was im Bereich von Infinitiven? Die beschäftigen mich auch schon seit einer Weile. In meiner Diss hatte ich ein Valenzphänomen in direktiven Infinitiven untersucht. Also so etwas wie Sofort ausmachen!

Beste Grüße
PeterSilie

Es gibt zwar eine Flut von Literatur über Infinitive.   Aber nichts scheint mir eine Antwort auf die Frage zu versprechen, wie die 'logische Form' z.B. von Zu schwimmen ist herrlich sein könnte.   Ich habe zwar Ideen dazu. Doch sollte ich zur Kenntnis nehmen, was man darüber sonst denkt.

Zu schwimmen, besser noch Schwimmen als substantivierter reiner Infinitiv, hat wohl eine gewisse Überschrifteneignung.

Die Nummer ist tatsächlich tricky. Zumal ja noch zu unterscheiden ist, ob der Infinitiv wie in Deinem Beispiel als Satzkonstituente oder als +/- selbstständiger Satz verwendet wird. Auch bei selbstständigen Verwendungen von bare infinitives muss bei der Analyse ja nochmal differenzieren zwichen flektiertem und unflektiertem zu. Ich hatte mir mal Gedanken dazu gemacht, warum es auf Plakaten heißt

Zu Verkaufen

im Laden aber

Zum Mitnehmen/Probieren

Im ersten Fall könnte man noch von einer Verbform ausgehen, im zweiten aber ist es eine Nominalisierung. Trotz grammatischer Unterschiede, scheinen die pragmatischen Funktionen aber doch sehr nahe beieinander zu liegen.

(21.05.2020, 21:55:02)PeterSilie schrieb: Zu Verkaufen

im Laden aber

Zum Mitnehmen/Probieren

Im ersten Fall könnte man noch von einer Verbform ausgehen, im zweiten aber ist es eine Nominalisierung. Trotz grammatischer Unterschiede, scheinen die pragmatischen Funktionen aber doch sehr nahe beieinander zu liegen.

Merkwürdig, wie man intuitiv alles paraphrasieren kann, ohne zu wissen, nach welchen Regeln.

Beides heißt "kann man ..."

Ich habe den Eindruck, dass Wahrheitswertfähiges am ehesten zugänglich ist.

Zu schwitzen macht Spaß

gilt oft als paraphrastisch zu

Wenn man schwitzt, macht das Spaß

Worauf bezieht sich das?    Auf wenn man schwitzt?

Macht keinen Sinn. 

Die Infinitivliteratur stürzt sich seit Jahrzehnten auf das Kontrollproblem. Man sucht eben Wahrheitswertfähiges; man möchte z.B.    Willi versucht zu schwimmen          auf                  Willi versucht: Willi schwimmt             zurückführen.

Spielt denn für die Semantik keine Rolle, dass Infinitive keine Person haben?

(21.05.2020, 09:52:34)kunnukun schrieb:

(05.05.2020, 18:22:45)PeterSilie schrieb: Mein Forschungsinteresse erstreckt sich auf die Frage, wie diese Fälle von Wenn-Sätzen lizenziert werden, da es sich nicht um einen regulären Hauptsatz handelt. Infrage käme hierbei ein Ellipseansatz, ein Insubordinationsszenario, eine pragmatische Lizenzierung, oder oder oder.

Wenn du dazu schon etwas veröffentlicht hast, interessiert mich ein Hinweis.    Diese wenn-Sätze könnten sich ähnlich wie Inf+zu-Gruppen verhalten: Sie eignen sich z.B. gut als Überschriften.

Ich werde zur DGfS einen Abstract zu dem Thema einreichen. Ich will dafür argumentieren, dass selbstständige wenn-Sätze Kommentare sind und darauf hinweisen, dass das Ereignis, auf das sie sich beziehen, als Geschichte wahrgenommen werden soll.

Zitat:Wenn man schwitzt, macht das Spaß

Worauf bezieht sich das?    Auf wenn man schwitzt?

Kann man das nicht rein als Expletivum interpretieren wie bei "Es regnet", um aus dem offentsichtlichen Hauptsatz einen vollständigen zu machen, obwohl kein anaphorisches Subjekt nötig ist?

(28.07.2021, 12:47:20)PeterSilie schrieb: Ich werde zur DGfS einen Abstract zu dem Thema einreichen. Ich will dafür argumentieren, dass selbstständige wenn-Sätze Kommentare sind und darauf hinweisen, dass das Ereignis, auf das sie sich beziehen, als Geschichte wahrgenommen werden soll.

Magst Du uns (oder zumindest mich) da auf dem Laufenden halten? Ich habe davon so dermaßen wenig Ahnung, dass ich ganz ehrlich gespannt bin, wie das zusammengeht.

(21.05.2020, 22:26:20)kunnukun schrieb:

(21.05.2020, 21:55:02)PeterSilie schrieb: Zu Verkaufen

im Laden aber

Zum Mitnehmen/Probieren

Im ersten Fall könnte man noch von einer Verbform ausgehen, im zweiten aber ist es eine Nominalisierung. Trotz grammatischer Unterschiede, scheinen die pragmatischen Funktionen aber doch sehr nahe beieinander zu liegen.

Merkwürdig, wie man intuitiv alles paraphrasieren kann, ohne zu wissen, nach welchen Regeln.

Beides heißt "kann man ..."

Ich habe den Eindruck, dass Wahrheitswertfähiges am ehesten zugänglich ist.

Zu schwitzen macht Spaß

gilt oft als paraphrastisch zu

Wenn man schwitzt, macht das Spaß

Worauf bezieht sich das?    Auf wenn man schwitzt?

Macht keinen Sinn. 

Die Infinitivliteratur stürzt sich seit Jahrzehnten auf das Kontrollproblem. Man sucht eben Wahrheitswertfähiges; man möchte z.B.    Willi versucht zu schwimmen          auf                  Willi versucht: Willi schwimmt             zurückführen.

Spielt denn für die Semantik keine Rolle, dass Infinitive keine Person haben?

Ich denke, dass man hier zwischen rein logischen Aspekten und den Gebrauchsbedingungen von wenn-Sätzen differenzieren muss. Ich denke schon, dass sich das das auf den syntaktischen Ausdruck Wenn man schwitzt bezieht. Aus semantischer Sicht handelt es sich hierbei aber nicht um eine Protasis, sondern um ein Ereignis bzw. die Denotation einer Situation (kurze Zwischennotiz: Für den Fall, dass ... wird umgangssprachlich auch oft als für wenn ... realisiert: Der Schokoriegel ist für den Fall/die Situation, dass ich unterzuckert bin. - Der Schokoriegel ist für wenn ich unterzuckert bin.). Dann macht das Ganze nämlich durchaus Sinn:

Wenn man schwitzt, macht das Spaß.
Die Situation, in der man schwitzt, macht Spaß.

Entsprechend sollte gelten: das = die Situation, in der man schwitzt

Anderer Fall, in dem das deutlicher wird:

Wenn man kleine Hündchen anzündet, ist das strafbar. (sorry, mir ist gerade nix besseres eingefallen)
Die Handlung, bei der man kleine Hündchen anzündet, ist strafbar.

das = die Handlung, bei der man kleine Hündchen anzündet

Viele Grüße
PeterSilie

(30.07.2021, 06:58:56)janwo schrieb:

(28.07.2021, 12:47:20)PeterSilie schrieb: Ich werde zur DGfS einen Abstract zu dem Thema einreichen. Ich will dafür argumentieren, dass selbstständige wenn-Sätze Kommentare sind und darauf hinweisen, dass das Ereignis, auf das sie sich beziehen, als Geschichte wahrgenommen werden soll.

Magst Du uns (oder zumindest mich) da auf dem Laufenden halten? Ich habe davon so dermaßen wenig Ahnung, dass ich ganz ehrlich gespannt bin, wie das zusammengeht.

Ich halte den Vortrag bald in einem kleineren Kreis zur Probe. Wenn die anschließende Diskussion fruchtbar war und ich mir über die ganze Geschichte noch ein paar Gedanken gemacht habe, werde ich Bericht erstatten und Euch meine Idee etwas weiter ausbreiten.