Leicht aussprechbare geschlechtsneutrale Sprache

Immer mehr Leute wollen manchmal oder häufig über andere Personen sprechen, ohne diese einer der beiden traditionellen Geschlechtskategorien zuzuordnen. Auf Deutsch ist das in vieler Hinsicht schwieriger als auf anderen Sprachen wie Englisch, Schwedisch oder Chinesisch. Als schriftsprachliche Lösung wird z.B. das Gender-Sternchen („Mitarbeiter*innen“) praktiziert, aber das löst das Problem nicht in allen Fällen und führt zu einer zusätzlichen Hürde bei dem Übergang von geschriebener zu gesprochener Sprache.

Auf der folgenden Webseite wird das De-Le-System vorgestellt, das darauf abzielt, leicht aussprechbare geschlechtsneutrale Wörter in die deutsche Sprache zu integrieren: delesystem.wordpress.com

Aufgrund der starken Verankerung von geschlechtsbasierten Kategorien in der deutschen Grammatik ist dies nur durch die Schaffung eines neuen grammatikalischen Genus möglich, das anders als das Maskulinum und das Femininum keinen Bezug zu einem der beiden traditionellen Geschlechter hat, und anders als das Neutrum nicht den Eindruck erwecken kann, dass die genannte Person als Sache dargestellt wird. Dieses neue Genus trägt in Anlehnung an ein ähnliches Genus in den skandinavischen Sprachen den Namen Utrum, und zeichnet sich im Nominativ durch den bestimmten Artikel de (statt der, die oder das) und durch das Pronomen le (statt er, sie oder es) aus – daher auch der Name De-Le-System.

Mich würde interessieren, was Ihr von diesem Vorschlag haltet.

Hallo,
ich habe mich mal durchgesehen und ohne jetzt viel sagen zu können:
Es ist sicher ein ehrenwertes Thema und Ziel, dass ich vollkommen unterstütze, aber so lästig die Gendering-Debatte ist und am Unwillen der Leute scheitert, umso weniger würde das DeLe-System Anklang finden, wenn es so weit weg der natürlichen Intuition und des Sprachverständnis der Sprecher*innen ist. Es gibt bereits weniger aufwendige Systeme, die näher am natürlichen Sprachkonstrukt sind, die genauso viele Fälle abdecken. Es würde mehr Sinn machen, an diesen festzuhalten. Ich finde den Diskurs trotzdem interessant, über zig Alternativen zu reden, das zeigt ja auch, dass dieses Thema endlich soweit Aufmerksamkeit kriegt, weil es einfach unausgegoren und zu ambig ist.
Die Aussprache des Gender-Sternchens ist jetzt kein Akt und erfordert nicht die Erfindung neuer Genera oder Paradigmen. In Fällen der Unanwendbarkeit lässt sich immer noch ganz einfach die Doppelform nutzen. Mag hin und wieder holprig daherkommen, aber wird zumindest komplett natürlich empfunden und bereits lange praktiziert.

Es ist einfach schrecklich zu sehen, dass wir Leuten, die ein politisches Problem lösen wollen, unsere Sprache als Spiel- und Experimentier-wiese überlassen.
Oben wird von der "starken Verankerung von geschlechtsbasierten Kategorien in der deutschen Grammatik" geschrieben. Was soll das sein? Linguisten sollten wissen, dass das maskuline Genus keinen Penis hat und meine Garage ("die G.") keine Frau ist. Lasst uns einfach die Artikel anders benennen, da sie eben nicht geschlechtsbasiert sind, sondern nur so (von Laien) empfunden werden. Dann kann die Sprache so bleiben. Und dann lasst uns insbesondere soziale Berufe (und damit mit Masse Frauen) anständig bezahlen, dann muss unsere Sprache nicht vergendert werden, in der Hoffnung, so würde Ungleichheit abgeschafft.

Es ist keine Spielerei oder Rumexperimentierung, wenn wir uns Gedanken machen, wie wir Menschen aller Art integrieren können. Sprache erfüllt nicht nur kommunikative Funktionen, sondern tut weitaus mehr. Frauen sollen Männern gleichberechtigt sein, wenn ein generisches Maskulin gewählt wird, werden sie nur mitgemeint, ohne dass sie auch nur irgendeine phonetische Realisierung erfahren. Und es geht nicht um das ewige Totschlagargument, wir würden grammatikalische Genera mit biologischen Genera verwechseln. Wir reden nicht davon Salzstreuerin einzuführen. Es geht um die ganz klar messbare und empirierbare Fehlleistung, dass wenn soziale Vorurteile von Frauen und Männern in Berufen auf eine semantisch unausgewogene Sprachkodierung treffen. Was passiert, wenn die Krankenschwester/der Krankenpfleger sagt: "Der Doktor kommt gleich."? Der Großteil erwartet einen männlichen Arzt, ein Kleinteil beides. "Die Ärztin kommt gleich." hier erwarten alle eine Ärztin, weil es semantisch eindeutig markiert ist. "Zur Konferenz kamen 300 Chirurgen aus aller Welt." (Waren es nun nur Männer, Männer und Frauen, nur Frauen?) "Zur Konferenz kamen 300 Chirurg*innen aus aller Welt." (Aha! Eindeutig, klar, ohne soziale Vorurteile noch zu bestärken.)
Wenn du von grammatischen Kategorien redest, hast du das zugrunde liegende Problem nicht verstanden. Frauen sollten nicht unter Männern subsumiert werden. "Arzt" ist ein männlicher Ausdruck, "Ärztin" ein weiblicher Ausdruck. Will man eine Mehrheit bezeichnen, in denen beide vorkommen, so solle man dies auch tun und nicht das eine unter dem anderen mitmeinen (oder vielleicht auch nicht). Entweder legen wir alle Morpheme für Genderung ab, wie das Englische größtenteils, oder benutzen das, was wir haben, anständig, um die Sprache angenehm und akkurat für alle zu machen, nicht nur für die konservativen Gegner-gegen-alles.

Hallo,
an dieser Antwort ist sehr gut zu sehen, dass meine Entgegnung nicht richtig gelesen und schon überhaupt nicht verstanden wurde. Die Antwort geht nicht auf das ein, was ich geschrieben habe.
Ich schreibe jetzt erst einmal nicht weiter, weil ich IHNEN Zeit geben möchte, das nachzuholen und vielleicht einiges klarer zu schreiben, z:B.
"Sprache erfüllt nicht nur kommunikative Funktionen, sondern tut weitaus mehr. Frauen sollen Männern gleichberechtigt sein,..." Welche Aufgabe hat Sprache noch? Gleichberechtigung?
"...Fehlleistung, dass wenn soziale Vorurteile von Frauen und Männern..." Soziale? von?
"...wir würden grammatikalische Genera mit biologischen Genera verwechseln..." Aber genau das tun Sie, indem Sie sagen:
""Arzt" ist ein männlicher Ausdruck, "Ärztin" ein weiblicher Ausdruck." Nein.
""Zur Konferenz kamen 300 Chirurg*innen aus aller Welt."" Mist, wenn keine Frau dabei ist, oder ein wie auch immer genanntes sonstiges Geschlecht. Das kommt nicht vor. Aber wenn 300 Chirurgen kommen sind es 300 Leute, die chirurgisch ausgebildet sind und wenn Frau Dr.X dabei ist, spreche ich Sie als Chirurgin an.
Und auf das eigentliche Problem sind Sie nicht eingegangen: Die Ungleichbehandlung liegt nicht in der Sprache, sie ist ein Problem, das politisch gelöst werden muss und nicht durch Broschüren (z.B. Niedersachsen), wo dann zu allem Überfluss noch gesagt wird, dass das Sternchen bei Bürger*innen als "Bürger und ....PAUSE...Bürgerinnen" mündlich vorzutragen ist.
Trotz alledem ist diese Diskussion mittlerweile ein millionenschweres Geschäft geworden, aber auch das ist ein anderes Thema.
Nachtrag und Ende: Gibt es in diesem Forum auch Frauen? Es heißt hier ja nur "linguisten.de" und nicht Linguisten*innen.de oder sonst irgendwie. 

(10.02.2019, 21:26:33)RainerS schrieb: Lasst uns einfach die Artikel anders benennen, da sie eben nicht geschlechtsbasiert sind, sondern nur so (von Laien) empfunden werden.

Dadurch, dass man die Bezeichnung verändert, ändert sich aber nichts daran, dass der Artikel "der" in "der Mann", "der Stuhl" und "der Arzt" auf allen linguistischen Beschreibungsebenen völlig identisch ist.

Man kann sich jetzt an einer Analyse versuchen, deren Ergebnis ist, dass es sich um homonyme Formen handelt und "der Arzt" in dem Sinne gar nicht maskulin ist. Nur sind die linguistische Analyse und die tatsächliche Sprachverwendung zwei paar Schuhe. Das Argument ist, dass der Ausdruck "der Arzt" -- semantische Analysen hin oder her -- bei vielen Sprechern zunächst das Bild einer männlichen Person hervorruft.

Es ist eine in der Linguistik sehr bekannte Annahme, dass Sprachen Kategorisierungen vornehmen, die das Denken und die Wahrnehmung beeinflussen. Wenn zwei Formen vollständig identisch sind, ist es plausibel anzunehmen, dass sie zu derselben Kategorie gehören. Zum Beispiel auf Basis der Prototypen-Theorie kann man versuchen zu argumentieren, dass eine männliche Person als "prototypischer Vertreter" dieser Kategorie salienter ist, als zum Beispiel ein sächlicher Stuhl.

Klar kann man darüber gerne kritisch diskutieren -- im günstigsten Fall unter Rückgriff auf vorliegende empirische Studien -- nur habe ich das Gefühl, dass diese Diskussion außerhalb der Linguistik weitgehend ignoriert oder nicht wirklich verstanden wird.

P.s.: Üblicherweise duzen wir uns hier im Forum, wie im Netz üblich. Wenn das jemandem unrecht ist, aber natürlich nicht.

(10.02.2019, 21:26:33)RainerS schrieb: Es ist einfach schrecklich zu sehen, dass wir Leuten, die ein politisches Problem lösen wollen, unsere Sprache als Spiel- und Experimentier-wiese überlassen.

Es ist einfach schrecklich zu sehen, dass manche Leute glauben, unsere Sprache sei unveränderlich. Mitnichten!^[1] Sprache ist Spiel- und Experimentierwiese aller Sprachteilhabenden. Wer nicht mitspielen will, soll's lassen, das ist gutes Recht. Aber wer nicht mitspielen will, hat deshalb nicht das Recht, anderen das Spielen zu verbieten.

(10.02.2019, 21:26:33)RainerS schrieb: Oben wird von der "starken Verankerung von geschlechtsbasierten Kategorien in der deutschen Grammatik" geschrieben. Was soll das sein? Linguisten sollten wissen, dass das maskuline Genus keinen Penis hat und meine Garage ("die G.") keine Frau ist.

Natürlich haben weder Wörter noch grammatische Kategorien irgendwelche Geschlechtsteile. Dieser Argumentationsversuch ist nichts als rhetorische Taschenspielertricks, die vielleicht am Stammtisch beeindrucken, aber nicht die Fachleute.

(10.02.2019, 21:26:33)RainerS schrieb: Lasst uns einfach die Artikel anders benennen, da sie eben nicht geschlechtsbasiert sind, sondern nur so (von Laien) empfunden werden. Dann kann die Sprache so bleiben.

Mit der Umbenennung von Kategoriebezeichnungen ändern wir aber gerade bei den Laien nichts.
Und die Sprache bleibt nie so. Sie ändert sich stetig, auch schon ganz ohne aktive Eingriffe. Wirklich vorschreiben kann man der Sprecherschaft eh nichts, nur vorschlagen. Und dann setzt sich durch, was die Masse für sinnvoll oder praktisch hält.

(10.02.2019, 21:26:33)RainerS schrieb: Und dann lasst uns insbesondere soziale Berufe (und damit mit Masse Frauen) anständig bezahlen, dann muss unsere Sprache nicht vergendert werden, in der Hoffnung, so würde Ungleichheit abgeschafft.

Da ist etwas Wahres dran. Die pure Umbenennung kann nur ein kleiner Teilaspekt sein, nicht jedoch die ganze Lösung. Nichtsdestotrotz ist sie ein Teil der Lösung.

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Fußnoten:

1. und Neffen!

Ich finde es etwas schade, dass die Diskussion sich bis jetzt fast nur um das generische Maskulinum dreht, aber will dazu doch noch drei Dinge anmerken:

1. Selbst wenn man den traditionellen Gebrauch des generischen Maskulinums für unproblematisch hält und daher voll akzeptiert, ist zumindest eins der Probleme, die das De-Le-System zu lösen sucht, noch nicht aus der Welt. Denn das generische Maskulinum wird traditionell nur gebraucht, um generisch über eine nicht eindeutig spezifizierte Person zu reden ("Wenn jemand die Antwort kennt, dann darf er sie seinem Tischnachbarn sagen"), und nicht, um über eine eindeutig spezifizierte Person zu reden (*"Das ist Kim. Er ist nicht-binär."). Die Deutsche Sprache in ihrer traditionellen Form zwingt einen, beim Sprechen über eine spezifische Person, diese eine der beiden traditionellen Geschlechtskategorien zuzuordnen. Da es immer mehr Menschen gibt, die sich als nicht-binär outen, und noch weit mehr Menschen gibt, die über diese nicht-binären Menschen respektvoll sprechen wollen, gibt es dadurch jetzt ein kommunikatives Bedürfnis, für das der traditionelle Sprachgebrauch keine Lösung bereithält. Hier jetzt auf den traditionellen Gebrauch des generischen Maskulinums hinzuweisen lenkt also nur von dem Problem ab, denn es geht nicht nur um Sätze, in denen man generisch über eine nicht eindeutig spezifizierte Person redet.

2. Es gibt meiner Meinung nach gute Gründe, den traditionellen Gebrauch des generischen Maskulinums kritisch zu bewerten. Es ist nun mal ein psychlinguistisches Faktum, dass das Maskulinum mit dem männlichen Geschlecht und das Femininum mit dem weiblichen Geschlecht assoziiert wird, unabhängig davon, wie genau der Zusammenhang zwischen Genus und Sexus von Semantikern analysiert wird. Bei Wörtern wie "er", "der Lehrer", "der Schüler" usw denken also die meisten deutschsprachigen erst einmal an eine männliche Person, auch wenn diese Wörter in einem generischen Kontext verwendet werden. Zusätzlich ist zu beachten, dass sich der Gebrauch des generischen Maskulinums sprachhistorisch in einem gesellschaftlichen Kontext entwickelt hat, in dem der öffentliche Diskurs von Männern dominiert wurde. Daher ist es durchaus nachvollziehbar, dass es heute vielen Deutschsprachigen wichtig ist, den generischen Gebrauch des Maskulinums zu vermeiden, um sicherzustellen, dass de Hörere (bzw. de Lesere) nicht als erstes an einen Mann denkt, und des Weiteren um der eigenen negativen Einstellung gegenüber unserem patriarchalischem Erbe Ausdruck zu verleihen.

3. Seit einigen Jahrzehnten gibt es eine immer stärker werdende Entwicklung weg vom generischen Maskulinum. Unabhängig davon, wie man dies persönlich bewertet, kann man auch einfach konstatieren, dass es diese Entwicklung gibt, und sich diese wohl kaum mehr rückgängig machen lässt. Da es aber auch unpraktisch ist, wenn sich eine Lösung etabliert, die das Problem erst einmal nur in der Schriftsprache löst und beim Übergang zur gesprochenen Sprache zu einer zusätzlichen Hürde führt, ist es unabhängig von der persönlichen Bewertung des generischen Maskulinums sinnvoll, sich über die Möglichkeit einer Lösung, die mündlich wie schriftsprachlich gut funktioniert, Gedanken zu machen.

Hier mein Beitrag zu dem von Kim angeregten Thema, den ich zuerst auf FB veröffentlicht hatte:

"Ein Bekannter (w/m/d) von mir, die/der unter dem Decknamen "Kim Delesys" schreibt, hat nachfolgenden Artikel veröffentlicht.

Derlei sprachplanerische Vorschläge finde ich sehr löblich, wenngleich ich ihnen wenig Chancen einräume. Damit solch tiefgreifende Veränderungen Erfolg haben könnten, müsste sich wohl zuerst unter Philologen, Sprachwissenschaftlern und allgemein unter der geisten Élite des deutschsprachigen Raumes die Erkenntnis durchsetzen, das Sprachplanung wünschenswert und umsetzbar ist – und dabei hapert es schon gewaltig.

Ich finde Kim Delesys' Vorschläge durchaus interessant. Hier ist offensichtlich ein Laie am Werke gewesen, der sich mit dem Sujet näher befasst hat. Konkret geben der bestimmte Artikel "de" sowie das Personalpronomen "le" dem Deutschen Delesys' einen – beabsichtigten oder zufälligen – niederländisch-fränzösischen Anstrich.

Statt eines komplett neuen Artikels mit neuer Substantivendung ("de Lehrere") fände ich die Aufgabe des weiblichen in-Suffixes sinnhafter. Mensch könnte dann immer noch vom "männlichen/weiblichen/nicht-binären Lehrer" sprechen, soweit das soziale Geschlecht relevant wäre. Sprachen sind im stetigen Wandel und Bedeutungen können sich ändern. In früheren Zeiten hat es kaum jemanden gestört, dass das generische Maskulinum entweder einen Mann oder eine geschlechtlich undefinierte Person bezeichnete. Heutzutage versteht man "den Lehrer" als rein maskuline Benennung. Das könnte sich – analog zur Entwicklung des Englischen – auch wieder ändern und "der Lehrer" wäre dann gemeinhin geschlechtsneutral. Auf den Plural "die Lehrer" träfe naturgemäß das Gleiche zu. Schließlich stört es kaum einen Mann, dass "die Persönlichkeit", "die Berühmtheit" u. a. feminine Wörter sind, obwohl sie sich auch auf männliche Personen beziehen können. Überhaupt sollte in der öffentlichen Diskussion viel stärker der dem Gros der indoeuropäischen Idiomen inhärente Unterschied zwischen grammatischem Genus einerseits, biologischem Sexus und sozial konstruiertem Geschlecht andererseits erklärt werden. Denn wenn nicht, müssten Feministen konsequent etwa von "der Magd" statt vom "Mädchen", "Mädel" usw. sprechen.

Als Pronominallösung wäre "er/sie" oder etwas höflicher "sie/er" denkbar, mit einer Pause gesprochen. Rein spekulativ könnte sich daraus über die Jahrzehnte oder Jahrhunderte "ser", "sier", "ers" u. Ä. entwickeln. Alternativ könnte man auch "he" übernehmen, was dem Altenglischen "hē" (männlich) und "hēo" (weiblich) sowie dem neueren utralen "hen"-Pronomen im Schwedischen entspräche. Wichtig finde ich also die germanische Herkunft und Verwandtschaft, denn Pronomina und Artikel gehören zu den grundlegenden Bestandteilen einer (zumindest europäischen) Sprache. Daher sollte man die Lautentwicklung, die Etymologie, die genealogische Verwandtschaft etc. berücksichtigen.

Hypothetisch wären auch ausgefallenere Formen wie männlich "der Lehrerrich" (analog zum umgangssprachlichen "Mäuserich"), "die Lehrerin", "der Lehrer" (Utrum), "der Lehrerix" (divers) denkbar, die aber wohl viele als albern und umständlich ablehnen würden.

Was sind also die Kriterien für einen so tiefgreifenden Eingriff in die Sprache? Meines Erachtens wären es Sprachgeschichte (diachrone Sprachstufen), Akzeptanz und Verbreitung in der Bevölkerung, Kürze bzw. Ökonomie sowie Aussprechbarkeit und Euphonie.

Dem Kriterium der Kürze oder Ökonomie folgend sagen auch heute schon viele nicht-feministische Frauen ganz spontan von sich, sie seien (im Singular) "Lehrer", "Ingenieur" usw.; wohl weil es schlicht kürzer zu sprechen ist und die geschlechtliche Zuordnung hier i. d. R. keine Rolle spielt.

Hier also nochmal ein Überblick über meinen Vorschlag:

"der Arzt" (Sg.) "die Ärzte" (Pl.); unabhängig vom biologischen oder sozialen Geschlechte

"He [he:] ist Pfleger." / "Ich sah hen am Freitage." / "Wir gaben hem am Wochenende das Geld." / "Heine Katze mögen alle Mitbewohner."

Da ich kein Fachmensch bin und außer Deutsch und Englisch keine germanische Sprache beherrsche, bin ich um Berichtigungen dankbar."

Aus professioneller Perspektive eines Linguisten denke ich, dass sprachplanerische Eingriffe in Sprache abzulehnen sind. Das ist meine ganz persönliche Meinung, die sich daraus ergibt, dass Linguistik in erster Linie deskriptiv und nicht normativ arbeitet. Die Linguistik stellt fest, was ist, und setzt nicht fest, was sein sollte. Das gilt unabhängig von der dahinter stehenden Intention. Linguistik als Fach ist zwar ethischen Massstäben verpflichtet, doch keiner Moral im weiteren Sinne unterworfen. Welche sollte das auch sein?

Damit mich niemand falsch versteht: Ich lehne eine Benachteiligung jedweder gesellschaftlicher Gruppen ab!

Es ist aber nicht die Aufgabe der Linguistik, Sprache dahingehend zu verändern, dass sich weniger Menschen durch ihren Gebrauch diskriminiert fühlen. Wie ähnliche Eingriffe in der Gesellschaft aufgenommen werden, kann man aktuell am Versuch des Framings bei der ARD beobachten. Zudem würde man anderen akademischen Fächern einen gleichgearteten Auftrag auch nicht geben: Niemand würde auf die Idee kommen, dass das Fach Jura Gesetze erlassen oder abändern sollte. Niemand würde von Politikwissenschaftlern verlangen, dass sie eine bestimmte Politik vertreten oder betreiben. Und einem Literaturwissenschaftler würde man auch nicht dazu ermuntern, sich für andere Literatur einzusetzen.

Insgesamt sind sprachplanerische Ideen immer Moden unterworfen. Das muss nichts Schlimmes sein. Im Gegenteil! Genau diese Moden können ja längst etablierte Missstände aufdecken. Dennoch ändern sich Moden und ich glaube nicht, dass Sprache jede Mode mitmachen kann.

Wenn sich Sprache also ändern soll, dann wird vermutlich der gleiche Weg zu beschreiten sein, über den Sprachwandel schon seit jeher stattgefunden hat: über die Sprecher!

Viele Grüße
PeterSilie

Das geht vielleicht ein bisschen weg von der Genus-Diskussion (und ist vielleicht etwas wirr, sorry! ;)), aber den Aspekt, ob die Sprachwissenschaft hier überhaupt tätig werden sollte, finde ich sehr interessant. (Da lohnt sich vielleicht fast ein eigener Thread) Ich glaube, das ist eine Grundfrage, die die Sprachwissenschaft für sich klären muss im Moment. Das Dogma "Leave your language alone" scheint mir in den letzten Jahren zumindest stark in Zweifel gezogen zu werden, gerade wenn es ums Gendern geht.

Ein Argument für eine Einmischung scheint mir doch bedenkenswert. In Bezug auf das ARD-Framing (danke für den Hinweis!) erwecken viele Beiträge für mich den Eindruck, man könnte nicht framen. Das ist meines Wissens nicht der Fall. Hier wäre ein Punkt, wo die Sprachwissenschaft einschreiten und korrigieren könnte. (Andererseits ist das natürlich eine Diskussion, die aus der Wissenschaft selbst kommt und ihr möglicherweise mittlerweile entgleitet.)

Zitat:Zudem würde man anderen akademischen Fächern einen gleichgearteten Auftrag auch nicht geben: Niemand würde auf die Idee kommen, dass das Fach Jura Gesetze erlassen oder abändern sollte. Niemand würde von Politikwissenschaftlern verlangen, dass sie eine bestimmte Politik vertreten oder betreiben. Und einem Literaturwissenschaftler würde man auch nicht dazu ermuntern, sich für andere Literatur einzusetzen.

Es mag nicht ihr expliziter Auftrag sein, es sitzen aber ja doch im Bundestag eine ganze Menge Juristen, die Gesetze machen. Und auch Literaturwissenschaftler werben oft für bestimmte Autoren bei Vorträgen ("X ist eine tolle Autorin!"). Viele Naturwissenschaftler setzen sich gegen den Klimawandel ein, ganz zu schweigen von den Wirtschaftswissenschaftlern, die mit Gutachten etc. stark in politische Prozesse eingreifen. In Anlehnung an die kritische Diskursanalyse könnte man fragen, ob es dann nicht besser wäre, wenn man einen solchen Auftrag annimmt, das aber explizit macht (was bei der ARD scheinbar versäumt wurde). Und ob es sowas wie Neutralität überhaupt gibt.

Das große Problem ist mMn, dass wissenschaftliche Erkenntnisse in solchen medialen Diskursen fast notwendig verformt und verfälscht oder überhaupt nicht wahrgenommen werden (siehe Kiezdeutsch, Sprachverfall, neue Medien und Schreiben etc.). Gerade bei den aktuelleren Aufsätzen zum Gendern merkt man, dass die der 'Öffentlichkeit' vermutlich schwer zu vermitteln sind und immer wieder Argumente genannt (!) werden wie 'Genus und Geschlecht sind (nicht) das gleiche' oder 'Studien zeigen, dass wir Männer im Kopf haben, wenn wir Arzt hören', seltener aber genau solche Studien und Erkenntnisse tiefer diskutiert werden.

(18.02.2019, 17:37:00)reger schrieb:

Zitat:Zudem würde man anderen akademischen Fächern einen gleichgearteten Auftrag auch nicht geben: Niemand würde auf die Idee kommen, dass das Fach Jura Gesetze erlassen oder abändern sollte. Niemand würde von Politikwissenschaftlern verlangen, dass sie eine bestimmte Politik vertreten oder betreiben. Und einem Literaturwissenschaftler würde man auch nicht dazu ermuntern, sich für andere Literatur einzusetzen.

Es mag nicht ihr expliziter Auftrag sein, es sitzen aber ja doch im Bundestag eine ganze Menge Juristen, die Gesetze machen. Und auch Literaturwissenschaftler werben oft für bestimmte Autoren bei Vorträgen ("X ist eine tolle Autorin!"). Viele Naturwissenschaftler setzen sich gegen den Klimawandel ein, ganz zu schweigen von den Wirtschaftswissenschaftlern, die mit Gutachten etc. stark in politische Prozesse eingreifen. In Anlehnung an die kritische Diskursanalyse könnte man fragen, ob es dann nicht besser wäre, wenn man einen solchen Auftrag annimmt, das aber explizit macht (was bei der ARD scheinbar versäumt wurde). Und ob es sowas wie Neutralität überhaupt gibt.

Natürlich sitzen Juristen im Bundestag. Doch sitzen sie dort nicht in ihrer Funktion als Wissenschaftler. An einem Lehrstuhl für Jura können Expertisen ausgearbeitet werden, die dann bei der Gesetzgebung berücksichtigt werden. Aber eine Lehrperson in Funktion eines Wissenschaftlers kann keine Gesetze erlassen. Gleiches gilt auch für den Einsatz gegen den Klimawandel. Wenn Klimaforscher aufgrund ihrer akademischen Tätigkeit zu Einsichten gelangen, die sie gegen den Klimawandel argumentieren lassen, dann muss man stets zwischen ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit und ihrem persönlichen Einsatz differenzieren. Klimaforschung kann nur aufzeigen, wie sich das Klima geändert hat oder wie es sich ändern wird. Klimaforschung ist jedoch nicht die moralische Instanz, den Klimawandel zu bewerten. Das ist eine politische und zu allererst gesellschaftliche Aufgabe. Ich weiß, oft sind die Grenzen schwammig und immer häufiger werden sie auch bewusst fallen glassen. Eine solche Grenzüberschreitung findet bspw. auch in der Literaturwissenschaft statt. Es wird sich dort aber niemand ernsthaft öffentlich derart entblöden und behaupten, dass nur die Gedichte von Goethe lesenwert sind und der Rest ein Fall für den Papierkorb der Geschichte ist.

Insgesamt sollte Wissenschaft stets der Neutralität verpflichtet sein. Wo die Einmischung von Autoritäten hinführt, hat die Geschichte und zwar auch die aktuelle gezeigt. Die Stichworte sind hier die Kraniometrie im 3. Reich oder der Entzug von Forschungsgeldern für die Kilmaforschung in den USA bzw. das dortige Betätigungsverbot in diesem Wissenschaftzweig. Man möge mich nicht falsch verstehen, ich will den unter bestimmten Gesichtspunkten durchaus nachvollziehbaren Ansatz, Sprache weniger diskriminierend zu gestalten, nicht mit den Methoden des 3. Reichs in Verbindung bringen. Die Gemeinsamkeit liegt jedoch darin, dass Wissenschaft unter moralischen und ideologischen Gesichtspunkten gelenkt wurde bzw. werden soll.

Gruß
PeterSilie

(18.02.2019, 17:37:00)reger schrieb: Das geht vielleicht ein bisschen weg von der Genus-Diskussion (und ist vielleicht etwas wirr, sorry! ;)), aber den Aspekt, ob die Sprachwissenschaft hier überhaupt tätig werden sollte, finde ich sehr interessant. (Da lohnt sich vielleicht fast ein eigener Thread)

Stimmt. Daher bitte diese Thematik fortan hier weiter führen: (Wann) soll die Sprachwissenschaft eingreifen?