(0) Captatio benevolentiae
Man sehe dieser längeren Expektoration ihre gewissen Verschrobenheit nach, es ist ja irgendwie Fasching und der hat seine Lizenzen.
(24.02.2017, 10:04:16)janwo schrieb: (22.02.2017, 19:24:34)Willi Wamser schrieb: Hm, ohne diachronen Ansatz wahrer Etymologie mal synchron:
"Wahre" Etymologie (eine Tautologie erster Kajüte übrigens! etymos - 'wahr') ist notwendigerweise stets synchron. Synchron zum Benennungszeitpunkt. Alles andere ist vorbereitende Wortbiographie, die uns zu diesem Zeitpunkt führt. Die eigentliche operation etymologique nach Saussure ist das, was wir im Bennenungsmoment beobachten um die Motivation zu erklären.
Nunja, schon interessant, diese Begriffsexplikationen samt dem Hinweis auf den Benennungszeitpunkt und der Wortbiographie/grafie. Die "modernere" Historiolinguistik untersucht wohl - das dürfte wenig strittig sein - "biografische" Entwicklungen in den phonologischen, syntaktischen und semantischen Komponenten eines Lexems. Dabei setzt sie synchrone Schnitte auf der diachronen Achse und findet so - hoffentlich - eine gute Erklärung für die aktuelle Bedeutung eines Wortes im jeweiligen Sprachgebrauch und schließlich im zeitlich letzten Sprachgebrauch.
(1) Etymologia antiqua
Die antike, mittelalterliche und barocke Etymologie orientiert sich an ihren jeweils synchronen Wortständen, sie will so den wahren Inhalt, i.e. "to etymon", erkennen. So heißt denn
etymologia "Streben nach dem wahren und ewigen Wortinhalt".
1.1 Cicero
Cicero etwa bestimmt selbstbewusst die Etymologie des Wortes "religio" im Umfeld von "re-ligere" und meint, dass Religion etwas mit immer wieder rückholenden, vergegenwärtigenden Lesen von religiösen Bestimmungen und Gesetzen zu tun habe. Religion lehre ein bestimmtes gehorsames Wohlverhalten gegenüber den genau erfüllten Vorschriften der Götter und ihrer Kultdiener und verspreche so ein gewisses Wohlergehen der gläubig Lesenden.. (De natura deorum)
1.2 Hexenhämmerer Kramer
Ein bescheuerter Hexenjäger wie Heinrich Kramer haut auf den Putz und argumentiert "etymologisch" in seinem
Hexenhammer, indem er Eva als weniger gläubig aufgrund der Apfelsache charakterisiert und in dieser Mutter aller Frauen die typische "femina" sieht, welche ein "minus" (min) an "fides" (fe) besitzt und so den Einflüsterungen des Teufels eher verfällt als die Männer. Es mag - so der Subtext - wohl auch Hexer geben, aber doch sehr viel mehr Maleficae (Hexen):
Ihr von Natur aus geringer Glauben wird [schon] bei der ersten Frau offenbar, da sie der Schlange auf ihre Frage, warum sie nicht von jedem Baum des Paradieses essen würden, sagte: »Von jedem [essen wir], nur nicht etc., damit wir nicht etwa sterben.«, wobei sie zeigt, daß sie zweifle und an die Worte Gottes nicht glaube, was alles auch die Etymologie des Namens demonstriert: es heißt nämlich femina [Frau] von fe und minus, weil sie immer geringeren Glauben hat und wahrt, und zwar von Natur aus bezüglich des [der geringeren] Glaubens [stärke], mag auch infolge der Gnade und der Natur der Glaube in der seligsten Jungfrau niemals gewankt haben, da er doch in allen Männern zur Zeit des Leidens Christi gewankt hatte.
Schlecht also ist die Frau von Natur aus, da sie schneller am Glauben zweifelt, auch schneller den Glauben
auch schneller den Glauben ableugnet. Das ist die Grundlage für die Hexen.
Mala ergo mulier ex natura,
cum citius in fide dubitat etiam citius fidem abnegat,
quod est fundamentum in maleficis.
(vgl. Hexenhammer, hier)
http://tinyurl.com/hxd67ft
1.3 Thomasius ridens
In der spottenden und rational orientierenden Aufklärung findet sich eine schöne Zusammenfassung des Frauenbildes aus dem Hexenhammer, mit dem Hinweis, man möge den Lachanfall zügeln ("risum teneatis").
Vid. Malleus malefic. parte I. qu. 6. p. 91.-104. Ut praegustum de huius auctoribus lector habeat, sequentia inde excerpimus. Primaria ratio, quam adferunt, haec est: dicunt, tria esse in rerum natura, linguam, malitiam ecclesiasticorum, et feminam, quae medium in bonitate et malitia tenere nesciant. Unde post locos communes contra malitiam ecclesiasticorum absque iudicio allatos, quos utique in honorem ordinis ecclesiastici referre abstinemus, multa deblaterant contra mulieres, quod mulier sit necessarium malum, naturalis tentatio caet. quod muliebrium vitiorum fundamentum sit avaritia, quod mulieres sint incontinentis linguae, quod minus valeant intelligendo bona, quam viri, quod Eva formata fuerit de costa curva et torta pectoris, quasi contraria viro; quod femina dicta sit a fe et minus
(risum teneatis amici), quia semper minorem habeat et servet fidem, quod mulieres sint proclives ad odia, aemulationem, impatientiam, vindictam, inobedientiam;
Christian Thomasius-De crimine magiae 1701, S. 114; auch in der Bibliotheca Augustana schnell zu finden, internet
(2) Etymologia recentior
Neuere Etymologen sind dann weniger an solchen Wahrheiten interessiert und lassen denn auch den Wahrheitsbegriff eher beiseite, indem sie nach möglichst plausiblen Vortraditionen (sit venia verbo) eines fraglichen Wortes suchen. Der von janwo gern angeführte Wolfgang Pfeifer findet denn auch diachron zusammengehörige frames , fast ist man versucht zu sagen: Kajüten für die "Kajüte":
Zitat:Kajüte f. ‘Wohnraum an Bord eines Schiffes’,
nd. Seemannswort, das bereits in der 2. Hälfte des 15. Jhs. in die Literatursprache aufgenommen wird.
Für den Anfang des 15. Jhs. nachzuweisendes mnd. kajüte entspricht dem (1455 bezeugten) mnl. kayhute (nl. kajuit), das wohl aus mfrz. frz. cahute ‘kleine Hütte’ (statt vorausgehendem gleichbed. afrz. chahute) entlehnt ist.
Dieses frz. Substantiv beruht wahrscheinlich auf Kontamination von afrz. hute, belegt nur in der speziellen Bedeutung ‘Teil einer Bewässerungsanlage’, mfrz. frz. hutte ‘Hütte’, einer Entlehnung von mhd. hütte ‘Hütte, Zelt, Verkaufsladen’ oder schon von ahd. hutta ‘Schuppen, Laube’ (s. ↗Hütte), mit bedeutungsverwandten Wörtern wie mfrz. frz. cabane ‘Hütte’ (s. ↗Kabine), afrz. frz. caverne ‘Höhle’. ...
http://https://www.dwds.de/wb/Kaj%C3%BCte
(3) Tautologia
Kurz und gut, es ist schwierig, bei "wahre Etymologie" von einer
Tautologie fetter Kajüte zu sprechen, weil sich der Begriff diachron in seiner Semantik gewandelt hat und der Normalleser kaum die ferne Grundbedeutung interpolieren kann und der Linguist und Spezialist eine andere Semantik ansetzt. Es sei denn man/er beharrt darauf, dass sich hier paradigmatisch und kat'exochen Tautologien tummeln:
ordentlich ordinär
ungarischer Hüne
schüchterner Blödmann
heulende Eule
Dieser Masterstudent hat eine orthographisch richtige, komplett richtige Arbeit abgegeben....
[Bild:
http://www.sat1.de/var/sat1/storage/imag...ry_348.jpg]