Ich muss ja sagen, dass man des Themas irgendwann müde wird. Diskussionen darüber haben oft so einen polemischen Touch, einen „weißer Ritter“-Aspekt, bei dem es schon anfängt – immerhin könnte es ja in moderner Zeit auch eine weiße Ritterin geben, nicht?
Zitat:Welchen Unterschied macht es, ob ein Mann oder eine Frau diese Zwillingsformeln "Schwachsinn" nennt?
Eben genau diesen. Wenn man jedoch als Frau diese Aussage tätigt, kommt genau folgendes: „Zu meiner kurzfristigen Verblüffung“. Als Mann wird man verbal geteert und gefedert und als chauvinistisches A* beschimpft. Ich halte das für einen Unterschied auf dem selben Level, wie etwa wenn ein älterer Mann einer jüngeren Frau hinterherschaut. Dann ist er ein Perversling oder ein Lüstling. Das Szenario umgekehrt ist viel weniger verwerflich. Ich stelle es mir als Mann auch furchtbar schwierig vor, in einer 'gendergeladenen Situation' noch den richtigen Ton zu treffen. Je nach Einstellung des Gegenübers ist es wahrscheinlich einmal sexistisch und einmal zuvorkommend, wenn man fragt, ob man nicht die schwere Einkaufstasche tragen könne. Das ist einer der Punkte, die mich an dieser ganzen Debatte stören: Inkonsequenz. Vielleicht ist die Frage, ob man das in der selben Situation als Frau auch einem Mann diese Frage stellen würde. Ich selbst würde diese Frage mit Ja beantworten und zwar aus folgendem Grund: wirklich 'genderneutral' betrachtet ist das, wenn man diese Frage – ganz unabhängig von seinem eigenen Geschlecht – einer anderen Person – ganz unabhängig von deren Geschlecht – stellt, wenn diese offensichtlich Hilfe benötigt. Wenn diese Person diesem Hilfeangebot mit Abneigung begegnet, weil 'man damit Schwäche zeigt/als schwach da steht', ist
das das Schlimme an dieser Situation und nicht das Hilfeangebot an sich.
Wo ich gerade darüber nachdenke: wahrscheinlich ist „Schwachsinn“ zu undifferenziert. Der Grundgedanke ist sicherlich kein Schwachsinn, aber seine Umsetzung. Ich halte es für durchaus richtig, dass es keine Bevorzugung eines bestimmten Geschlechts, einer bestimmten Haut-, Haar-, Augenfarbe etc. geben sollte. Nur ist der Gedanke mit der
Gleichberechtigung, der in
gleichen Chancen resultiert, eben das Verquere in meinen Augen. Jedem die selben Chancen zuzugestehen ist, zumindest in meinen Augen, gar nicht so fair, wie es immer gedacht wird. Ich halte es für durchaus wichtig und richtig, dass nicht 'unterdrückender Weise' ein Geschlecht, Haut-, …etc. bevorzugt wird. Aber Gleichbehandlung ist in meinen Augen auch nicht zwingend Gleichberechtigung. Wo aus dieser Idee, dass beide Geschlechter gleiches vollbringen müssen, auch eine Art Zugzwang entsteht („Wie, du kannst nähen, kochen, stricken, backen und häkeln? Was bist du unemanzipiert!“) oder die
perverse Verdrehung der Problematik hin zur anderen Seite (aka. „Frauen werden bei gleicher Qualifikation bevorzugt eingestellt.“) , ist eben weder Gleichberechtigung noch Gleichbehandlung erreicht.
Schreibungen mit Binnen-I, Doppelungen oder ähnlichen Auswüchsen halte ich übrigens einfach nur für den Lesefluss störend (und bei Übersetzungen waren und sind sie umständlich umzusetzen). Sicher ist das eine Gewohnheitssache. Ein Bekannter, der Soziale Arbeit studiert, hat damit kein Problem, weil alle Fachliteratur dort inzwischen mit der Binnen-I-Schreibung oder ähnlichem ausgestattet ist und er es nicht anders gewohnt ist.
Zitat:Der von dir erwähnte Sprachlog-Autor Anatol Stefanowitsch hat hierzu auch schonmal ausführlich und empirisch untermauert geschrieben (wie üblich lesenswert): http://www.sprachlog.de/2011/12/14/fraue...sgenommen/
Das Sprachlog ist ein geradezu wundervolles Paradebeispiel von Bemühungen, mit der Brechstange auf Beton einzuschlagen um ihn damit weichzuklopfen. (Nein, ich lehne es mit dieser Aussage nicht ab, ich lese es auch selbst und finde darin viele nützliche Denkanstöße.)
Aber ich stimme zu, es wird ein Ungleichgewicht bestehen. Problematisch ist dabei vor allem, denke ich, dass Meinungen über dieses Thema gerne in Extreme abrutschen: bei Männern zu „die Gender-Feministinnen unterdrücken mich“ und bei Frauen zu „Viva la Revolution, nieder mit dem Patriarchat, lasst sie brennen!“. Klingt jetzt polemisch, jedoch kenne ich durchaus Personen beider Einstellungen.
Zitat:Was genau sollen solche Regelungen, wie auch z.B. gerade ganz neu die an der Uni Leipzig (s.u.) bringen?
Die Frage eröffnet irgendwie ein weiteres Feld (Komm, Effi!) als ich beim ersten Lesen angenommen hatte. Der Reihe nach:
Solche Regelungen sollen, so habe ich es verstanden, auf die Problematik einer tendenziell und aus der diachronen Entwicklung heraus erwachsenen patriarchalischen Sprache aufmerksam machen. Sprecher des Englischen haben das Problem nicht so sehr, die sind ihre
Genus-Aufladungen los, sogar vollkommen, seit sie auch seit einigen Jahren nicht mehr mit „she“ auf Segelboote referieren. Da im Deutschen aber nunmal Nomina mit einem
Genus entweder ausgestattet sind oder damit versehen werden, erwächst vermutlich oft der Eindruck, dass der mit dem Sexus korrelieren sollte (es gibt durchaus (weibliche) Menschenbezeichnungen, bei denen das nicht so ist, z.B.
das Mädchen). Sprache bildet Gesellschaftsbilder ab. Dass unsere Sprache also solche Realisationsformen wie die des generischen Maskulinums hat, verwundert an dieser Stelle nicht. Hier kann man vielleicht auch gut mit den Bemühungen der Uni Leipzig einsteigen:
Kann man durch Änderung der Wortform auch die Semantik ändern? So wie das Sprachlog es ganz nett als „sprachliche Mengenlehre“ bezeichnet und postuliert, dass alles, was gegen diese Regelung spricht, wider der Logik sei, denke ich, dass man so von der falschen Seite an das Problem geht. Vielleicht werde ich auf lange Sicht nicht Recht behalten (oder habe es erst gar nicht), aber nun ja. Betrachtet man die Wörter
Professor und
Professorin auf rein morphologischer Ebene, so steckt natürlich in
Professorin auch Professor 'mit drin'. Da mehrmorphematische Frauenbezeichnungen im Deutschen zu einem Großteil derivierte Formen mit
-in oder Formen der adjektivischen Deklination sind, verwundert auch das Auftauchen der Derivationsbasis in der 'fertig' derivierten Form nicht. Nun können derivierte Formen lexikalisiert werden (vgl. dazu etwa die Möglichkeit, Nomina auf
-tum zu pluralisieren: Königtum – Königtümer vs. Studententum - *Studententümer), bei Derivaten auf
-in ist das aber meines Wissens nach noch nicht der Fall. Verbessere mich, wer das widerlegen kann. Die Bezeichnung „sprachliche Mengenlehre“ finde ich übrigens nicht sonderlich passend. Irgendwie impliziert das für mich, dass eine 'sprachliche Menge', etwa ein Kompositum, immer bloß die Summe seiner Teile ist. Wäre dem so, müsste ich mehr Mitleid mit z.B. der Zunft der Jäger haben, weil sie, ebenso wie Pfeffer, dauernd zu Sauce verarbeitet werden.
Mit solchen Änderungen wie in Leipzig ändert man also die Form des Wortes – und nicht zu einer neuen, sondern zu einer bereits existenten, der
ad hoc ein neuer semantischer Gehalt zugewiesen wird. Wäre doch toll, wenn Sprache so einfach zu verändern wäre. Jetzt ist nicht mehr der ursprünglich aus dem Verb abgeleitete Begriff ('der/das x tut' lehren → Lehrer, bohren → Bohrer, etc) der generische, sondern die aus dem abgeleiteten Begriff abgeleitete feminine Form, weil diese auf der Formseite überhaupt nicht überraschenderweise die 'maskuline' Derivationsbasis mit aufweist.
Ich denke, dass diese Holzhammermethode mehr destruktiv als produktiv ist und bin gespannt, wie sich solche Bemühungen auswirken werden.
Sprachliche Bemühungen, den generischen Aspekt aus Menschenbezeichnungen (und nur da!) zu entfernen, bringen auch manchmal seltsame Bastarde hervor. Ich spreche nicht von in meinen Augen auch seltsamen Bemühungen, Straßenschilder jetzt für „zu Fuß Gehende“ (wirklich, ich habe mich als Frau noch nie
nicht angesprochen gefühlt, weil an einer Ampel nur Fußgänger bei Rot stehen zu bleiben haben) zu beschriften, sondern von Dingen wie „Übung für weibliche Studierende“. Erkläre mir doch jemand, warum man hier nicht wieder einfach „Studentinnen“ sagen kann. Nett gelöst ist es - ganz ohne 'Genderproblem' - bei Beispielen wie
Gehweg statt
Bürgersteig.
Ich könnte jetzt noch viel mehr darüber schreiben, aber jetzt ist es ja schon tl;dr ;)
Beispiele und Gedankenanstöße schamlos entnommen aus
Köpcke, Klaus-Michael & David A. Zubin (2009): Genus. In: Elke Hentschel / Petra M. Vogel: Deutsche Morphologie. Berlin: de Gruyter, 132-154.
Werner, Martina (2010): Substantivierter Infinitv statt Derivation. Ein 'echter' Genuswechsel der Kodierungstechnik innerhalb der deutschen Verbalabstraktbildung. In: Dagmar Bittner & Livio Gaeta (Hrsg.): Kodierungstechniken im Wandel. Das Zusammenspiel von Analytik und Synthese im Gegenwartsdeutschen. Berlin/New York: de Gruyter, 159-178.