Hallo Kippie,
1. Es ist ein Trugschluss, zu glauben, geschlechtergerechte Sprache würde Sexismus ausrotten oder maßgeblich bekämpfen. Das anzunehmen setzt voraus, einen direkten und unmittelbaren Einfluss von Sprache auf Denken (und Handeln) anzunehmen, und das ist unsinnig. Im Umkehrschluss bedeutet das dann halt auch, dass es natürlich Sprachen ohne Sexus-zu-Genus-Mapping gibt, deren Sprecher/innen in Gesellschaften leben, die strukturellen Sexismus aufweisen. Gesellschaften dieser Welt sind in der überwältigenden Mehrheit patriarchalisch organisiert (einige mehr, einige weniger). Deshalb wird natürlich auch in finnischsprachigen Gesellschaften über Sexismus diskutiert und auch das genusneutrale Pronomen
hen im Schwedischen wird nicht automatisch zum Abbau von Sexismus führen. Und englischsprachige Gesellschaften sind nicht vor Sexismus gefeit, nur weil Englisch den Vorteil hat, z.B. Berufsbezeichnungen genderneutral zu interpretieren (in der Regel wird in
the doctor nach wie vor in der Regel eine männliche Person reininterpretiert).
2. Deshalb wird geschlechtergerechte Sprache meines Wissens auch nicht als Allheilmittel gesehen, sondern als
ein möglicher Schritt hin zu einer gerechteren Gesellschaft, wo diese sprachlich nicht gegeben ist. Dass es als „Allheilmittel“ wahrgenommen wird (bzw. dass einige glauben, dass andere das annehmen), liegt vielleicht u.a. an vielen Missverständnissen, die gerechte Sprache umgeben und wie Vorschläge zum „Nachdenken“ in der Öffentlichkeit rezipiert werden. Zwei Beispiele:
a) haben „Leitfäden“, wie der von
Lann Hornscheidt keinen Anspruch, irgendwelche verpflichtenden Sprachregelungen zu etablieren oder durchzusetzen.
b) die Maßnahmen der Universität Leipzig, in offiziellen Dokumenten ab sofort das generische Femininum zu verwenden, wurde in der Öffentlichkeit so interpretiert, dass männliche Professuren ab sofort mit „Herr Professorin“ angesprochen werden müssen. Sinn der Aktion war lediglich, aus den Möglichkeiten
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Alle Professoren müssen forschen und lehren (generisches Maskulinum)
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Alle Professoren und Professorinnen müssen forschen und lehren (Beidnennung)
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Alle Professor/innen müssen forschen und lehren (Schrägstrichnennung)
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Alle Professorinnen müssen forschen und lehren (generisches Femininum)
in offiziellen Dokumenten das generische Femininum auszuwählen, wo in solchen Kontexten überwiegen (im Unibereich zwar nicht mehr) das generische Maskulinum zu finden ist. Das Missverständnis liegt also vor allem darin, dass in Aktionen wie diesen Vorschriften hinreininterpretiert werden (Vorwurf „Sprachpolizei“) — sie wollen aber in der Regel zum Nachdenken/die Diskussion anregen, was das Problem sein
könnte.
3. Sexismus und Genus zusammen bzw. deren möglichen Zusammenhang zu untersuchen ist mEn vor allem ein amerikanisch-europäisches Phänomen, aus zwei — ebenfalls amerikanisch-europäischen Gründen. Erstens wird Sexismus vor allem in diesen technologisierten Gesellschaften diskutiert, und zweitens haben indo-europäische Sprachen in der Regel auch sexusbasierte Genussysteme. Das schließt nicht aus, dass es in nicht-europäisch geprägten Sprachen/Gesellschaften keine sexusbasierte Genussysteme gibt bzw. Sexismus nicht kontrovers diskutiert werden würde/könnte. Aber die gesellschaftliche Reflexion scheint bei uns besonders stark ausgeprägt zu sein. Will sagen: mir sind keine Untersuchungen bekannt, die den Zusammenhang zwischen Genussystem und strukturellem Sexismus in nicht-europäischen Sprachen untersucht. Es gibt erste Versuche, diesen Zusammenhang mit südeuropäischen Sprachen zu unternehmen, die noch ein deutlich traditionelleres Bild von Geschlechterrollen haben. Da ist noch viel zu tun.
Ich wäre einigermaßen überrascht, wenn es Sprachen/Gesellschaften gibt, die ein generisches Femininum anwenden.
Hilft das?
Literatur:
Die Beiträge von uns (Anatol Stefanowitsch, Kristin Kopf und mir) im Sprachlog beschäftigen sich oft mit gendern, diesen einen kann ich zum Einstieg empfehlen:
Stefanowitsch, Anatol. 2011.
Frauen natürlich ausgenommen.
Sprachlog, 14. Dezember 2011.
Am Ende gibt es einige Literaturhinweise.
Und sonst auch alles von
Luise Pusch, vermutlich die profilierteste Vertreterin der deutschsprachigen Feministischen Linguistik.